Content-ID: 008|01 | Autor: Gerd | Stand: 25.6.2020

Nur keine Staatsschulden-Panik

Es gibt Schlimmeres, als auf Pump durchzustarten!

Drei Monate Corona-Shutdown, die halbe Welt steht still und es ist kein rasches Ende in Sicht. Den Menschen und Unternehmen ist die Kontrolle über ihre Liquidität entglitten. Jetzt sind die Staaten am Zug. Sie müssen dabei mit Soforthilfen und Rettungsschirmen entschlossen der Krise entgegenwirken. Dazu brauchen sie Unmengen an fremdem Geld. Und schon macht sich bei den Sparfüchsen unter uns Panik breit. Aber warum nur?

Natürlich ist es wichtig, die Staatsschulden kritisch im Auge zu behalten. Trotzdem: Schulden zu machen gehört in den Werkzeugkasten jeder Regierung – nicht nur in Zeiten wie diesen. Wenn der Corona-Pandemie etwas Positives abzugewinnen ist, dann sind es grundlegende Erkenntnisse zur Globalisierung, Umwelt und Wirtschaft. Unter anderem zeigt sie sehr anschaulich, warum Volkswirt*innen anders denken (sollten) als Betriebswirt*innen. Auch wenn die Politik gerne Vergleiche mit dem häuslichen Alltag bemüht, beim Schuldenmachen haben Staaten andere Regeln und Möglichkeiten als Private und Unternehmen. Und das ist auch gut so. Zu den Aufgaben des Staates zählt nämlich nicht nur, selbst als Dienstleister, Arbeitgeber und Investor in Erscheinung zu treten. Er hat auch alle Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Bevölkerung und Unternehmen selbstständig agieren können, zu gestalten und abzusichern. Und wenn diese in Gefahr geraten, liegt es am Staat, schnell und aktiv einzugreifen. Egal mit welchem Geld.

Wie viel Geld ist eigentlich im Spiel?

Führen wir uns kurz vor Augen, welche Beträge in der aktuellen Schuldendiskussion im Spiel sind: 1 Milliarde (abgekürzt Mrd.) Euro entspricht dem Gegenwert von rund 4.000 Zwei-Zimmer-Wohnungen im Eigentum á € 250.000,- (abgekürzt 2-ZiWo).

Wie stellte sich für Österreich Anfang dieses Jahres die wirtschaftliche Ausgangssituation dar? Das Brutto-Inlandsprodukt (BIP) des Landes betrug Ende 2019 knapp 400 Mrd. Euro (ca. 1,6 Mio. 2-ZiWo). Gemeint ist damit die jährliche Wirtschaftsleistung aller österreichischen Unternehmen und Haushalte zusammen. Das ist nicht zu verwechseln mit jenem Geld, das dem Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung steht. Der Staat selbst arbeitet mit einem Budget von gut 80 Mrd. Euro (320.000 2ZiWo), u.a. auch für die Rückzahlung der Schulden plus Zinsen. Das BIP ist für die Volkswirtschaft eine der wichtigsten Kennzahlen. So werden u.a. auch Staatsschulden in Relation zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Landes gesetzt. Österreich hatte Ende 2019 einen Schuldenberg von rund 280 Mrd. Euro angehäuft (1,1 Mio. 2-ZiWo). Das ergibt eine Schuldenquote von gut 70 % des BIP. Trotzdem war zu Beginn von Corona die finanzielle Situation Österreichs, im Vergleich zu anderen Ländern, als sehr gut zu bewerten.

Dann kam die Pandemie. Für das Krisen-Jahr 2020 erwarten die Wirtschaftsweisen einen Rückgang des BIP in Österreich um über 7 %. Ausschlaggebend dafür ist der „Corona-Lock-Down“, also das Herunterfahren der Wirtschaft in Österreich, Europa und der ganzen Welt. Damit wird per Ende 2020 das BIP im Lande auf knapp 370 Mrd. Euro sinken. Das heißt auch: Würde Österreich 2020 gar keine neuen Schulden aufnehmen, würde die errechnete Schuldenquote per Jahresende trotzdem auf 76 % des BIP steigen. Jedoch wird uns eine Schuldenquote von bis zu 85 % des BIP vorhergesagt. Das bedeutet, dass der Schuldenstand der Republik per Ende des Jahres 314 Mrd. Euro betragen könnte. Das wären rund 34 Mrd. Euro (136.000 2-ZiWo) mehr als noch zu Jahresbeginn. Diese Summe darf nicht mit jenen 60 Mrd. Euro Corona-Hilfen verwechselt werden, die den Österreicher*innen, zur Bewältigung der dringlichsten Probleme, in Aussicht gestellt wurden. Einige dieser Hilfsgelder können auch ohne neue Schulden ausgezahlt werden. Zudem werden beträchtliche Summen voraussichtlich gar nicht benötigt bzw. müssen diese von den Empfänger*innen später selbst bezahlt werden.

Aber auch Deutschland greift für seine Corona-Hilfspakete tief in die Tasche. Unser Nachbarland hat dafür, allein für das Jahr 2020, schon 218 Mrd. Euro (872.000 2-ZiWo) an neuen Schulden freigegeben. Zudem ist Deutschland bereit, zur Rettung wichtiger Export-Nationen durch die EU, zusätzliches Geld in die Hand zu nehmen. So wird von der Europäischen Kommission gerade ein 750-Milliarden-Euro-Paket verhandelt (3 Mio. 2-ZiWo). Davon sollen zwei Drittel an besonders schwer betroffene Länder gehen. Und zwar als nicht rückzahlbare Zuschüsse. Damit stünden für diese Schulden zwar alle EU-Staaten gerade, was die österreichischen Finanzen extra belasten würde. Es brächte jedoch den Wirtschaftsmotor großer, für uns sehr wichtiger, Exportmärkte schneller wieder in Gang. Immerhin machen wir mit Kund*innen aus dem Ausland mehr als die Hälfte unserer Geschäfte. Damit wäre wiederum eine europa-/weltweite Depression und eine auch für Österreich ruinöse gesamtwirtschaftliche Lage zu vermeiden. Zur Finanzierung von Staatsschulden hat zudem die EZB ihr Kaufprogramm für Staatsanleihenaao) um 600 Mrd. Euro (2,4 Mio. 2-ZiWo) aufgestockt.

Sie sehen: In Zeiten wie diesen sind, selbst für die sparsamsten Nationen, offensive Wirtschaftsprogramme das Maß aller Dinge. Koste es, was es wolle! Denn neue Schulden sind weniger bedrohlich als eine langfristig gelähmte regionale und globale Wirtschaft.

„Ruhig Brauner“ – Schulden beißen nicht

Es kann einem schon mulmig werden, wenn man sich oben genannte Fakten und Beträge vor Augen führt. Trotzdem ist Panik fehl am Platz! Es ist nicht nur die Tatsache, dass in bestimmten Situationen die Kosten langfristiger Schäden jene neuer Schulden weit überschreiten können. Es sind auch die Art und Weise, wie mit Staatsschulden umgegangen wird, und vielfältige Stabilitätsmechanismen, die Schuldenpolitik (meist) zu einem gut berechenbaren Risiko machen.

Niedrige Zinsen

Die EURO-Staaten machen meist Schulden, indem Sie auf den internationalen Finanzmärkten Anleihen veräußern. Obwohl diese Anleihen von freien Anleger*innen erworben werden, landen sie rasch wieder in den Büchern der jeweiligen Nationalbanken. Dazu verhilft die EZBaao) mit ihrem Anleihen-Kaufprogramm, indem sie den Ländern für den (Rück-)Kauf von Anleihen, Geld zur Verfügung stellt. Zwar werden die Schulden dadurch nicht getilgt, sie sind aber wieder vom freien Markt genommen. Das wird besonders von jenen Staaten genutzt, die über eine hohe Bonität verfügen und damit die Anleihen-Verzinsung niedrig halten können – also auch Österreich.

Lange Laufzeiten

Staaten, die keine Schwierigkeiten haben neue Schulden aufzunehmen, nutzen dafür eine „Loch auf, Loch zu–Taktik“. Dabei werden neue Schulden (niedrig verzinst) aufgenommen, um alte mit höheren Zinsen abzulösen. Damit können Staaten die Laufzeit ihrer Verschuldung bei Bedarf fast unendlich strecken. Die EZB sorgt zudem dafür, dass das allgemeine Zinsniveau in der EURO-Zone sehr niedrig bleibt. Was die Staaten und Unternehmen freut, lässt den Wert privater Sparguthaben rapide schmelzen. Wir investieren damit aber indirekt in die Robustheit der europäischen Wirtschaft. Zudem sind heute, trotz der niedrigen Renditen am Anleihenmarkt, Laufzeiten von 30 bis 100 Jahren möglich.

Wachstum und Leistungsfähigkeit

Vordergründig wird die Schuldenquote gerne als Kennzahl für die Bonität eines Landes genannt. Sie hat daher Eingang in die Maastricht-Kriterien gefunden. So sinkt die Schuldenquote mit jedem Prozent Wirtschaftswachstum eines Landes automatisch. Letztendlich aber ist den internationalen Finanzmärkten die Schuldenquote so lange egal, solange der Konjunktur-Motor rasch wieder zum Laufen gebracht werden kann. Deshalb wird die grundsätzliche Fähigkeit einer Volkswirtschaft beurteilt, Schulden (irgendwann) bedienen können. Aber auch die Chance, in diesem Land (mit den dort ansässigen Unternehmen), mittelfristig wieder Renditen zu erwirtschaften, ist ein wichtiger Grund, in dieses zu investieren. Daher müssen Staaten mit hohen Schuldenquoten, wie die USA (130 % des BIP), Japan (250 %) oder Deutschland (80 %) nicht wirklich um ihr gutes Rating zittern, auch wenn die Schuldenquote durch die Decke schießt.

Wirtschaftliche Erfolgsfaktoren

Für Österreich ist die Teilnahme am europäischen Binnenmarkt das wohl beste Argument, uns Geld zu überlassen. Zwar werden wir als Exportnation auch die Krise in den USA oder in Asien negativ zu spüren bekommen. Trotzdem werden die EU-weiten Corona-Paketeaao) helfen, zumindest diesen riesigen Absatzmarkt abzusichern. Übrigens auch den von Italien und Spanien, die zwar schuldentechnisch unter Druck, trotzdem aber wichtige Exportmärkte Österreichs sind. Zudem konnte national der Arbeitsmarkt durch Kurzarbeit zumindest im Stand-By Modus gehalten werden. Nachzubessern gilt es hingegen bei der Sicherung der Liquidität der betroffenen Unternehmen und bei der Reaktivierung des Privaten Konsums. Insbesondere die erwartete Pleitewelle unter österreichischen Betrieben könnte negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und den Bankensektor bringen. Aber auch die schwierige Situation im Tourismus und in der Kultur-Branche bleibt wohl länger im Fokus der Ratingagenturen.

Angebot und Nachfrage

Auf dieser Welt sind Aber-Billionen Dollar, Euro, Yen etc. im Umlauf, die darauf warten, gewinnbringend angelegt zu werden. Jedoch sind aktuell wohl nur wenige Anlageformate auf dem Markt, in denen, bis zum Anspringen der Weltwirtschaft, das Geld sicher geparkt werden kann. Deshalb sollten gerade jetzt Anleihen von soliden Staaten besonders gefragt sein. Auch wenn sie mit mickrigen Zinsen geizen. Es besteht daher kaum Gefahr, dass trotz der Unmengen an neuen Schulden, die weltweit aufgenommen werden müssen, österreichische Anleihen Ladenhüter bleiben.

Vertrauen in Nach-Corona

Entscheidend für Investor*innen wird ab Herbst 2020 sein, inwieweit die neuen Schulden dem Durchstarten der Wirtschaft dienen und weniger der Finanzierung des Stillstandes. Das klingt neo-liberaler, als es sein soll. Denn nicht gemeint ist damit, wieder in alte Verhaltensmuster des Wirtschaftens zurückzukehren. Diesen Ansätzen wird es auch nach der Krise an langfristiger wirtschaftlicher Perspektive fehlen, so wie heute schon. Aber es steht weltweit, mit einer klimafreundlichen Ausrichtung der Gesellschaft, jenes enorme Wachstumspotenzial im Raum, das jetzt so dringend gebraucht wird. Trotzdem stehen den vielen grünen Absichtserklärungen nur wenige konkrete Programme gegenüber. Die Kurve in Richtung Klimaneutralität zu schaffen heißt deshalb nicht nur, halbherzige Regierungsprogramme wiederzubeleben oder die groß-industrielle Wirtschaftselite mit populären Forderungen zu konfrontieren. Es bedeutet vielmehr, die Gesellschaft und die Konzerne abzuholen und mit dem nötigen Aufbaukapital in eine saubere Zukunft zu begleiten. Denn von heute auf morgen geht beim Klimaschutz gar nichts. Das wissen wir. Und das weiß auch der Kapitalmarkt ganz genau.

Schuldentilgung

Die aufflammende Diskussion, wer wann und wie schnell die gemachten Schulden zurückzahlen soll, ist zwar verständlich. Sie dient jedoch gegenüber den Kapitalmärkten mehr dazu, Handlungsspielraum zu signalisieren, als tatsächlich Steuern zu erhöhen, Pensionen zu kürzen oder Projekte nicht umzusetzen. Tatsächlich ähneln die Konzepte, Schulden „gegen-zu-finanzieren“, oft jenen, die auch in Budget-Fragen bemüht, jedoch selten umgesetzt werden. Deshalb liegen auch Ansätze wie eine Staats- und Verwaltungsreform, eine Pensionsreform oder die Durchleuchtung des Förderwesens immer irgendwie mit auf dem Tisch. Zudem bieten Strategien, das enorme private Vermögen der Österreicher*innen als Investitionskapital zu aktivieren, gute Chancen, an der Schuldenfrage vorbei positive Impulse für die Wirtschaft zu generieren. Sie sehen, für die Zeit nach einer Krise haben Staaten wie Österreich immer gute Argumente parat, egal, wie heiß die Schuldendiskussion werden wird.

Was konkret Unbehagen bereitet:

Es ist nicht nur das Bewusstsein, dass man angesichts hoher Staatsschulden natürlich wachsam und vorausschauend agieren sollte. Auch nicht, dass sich schon abzeichnet, dass es nicht in allen Bereichen gelingen könnte, die Krise nachhaltig zu überwinden. Das bindet Kapital für eine wirtschaftliche Offensive und sendet zudem negative Signale an die Geldgeber*innen. Vielmehr bereitet mir die Panik-Stimmung Kopfzerbrechen, mit der in der Diskussion um die Krisenbewältigung bereits heute gezielt Klientel-Politik betrieben wird. So als würde jetzt entschieden, wem es nach Corona gut gehen darf und wer Pech gehabt haben wird.

Was wir gegen das Unbehagen tun können:

Österreich ist stark, solange es nicht auf eigenen Beinen stehen muss, sondern in den stärksten Wirtschaftsraum der Welt eingebunden ist. Egal was außen herum passiert: In einem Binnenmarkt von der Größe Europas lässt es sich auch in der größten Krise passabel einrichten. Ein europäisches Kollektiv, sofern die Mitgliedstaaten es zulassen, besitzt enorme Widerstandskraft und Dynamik. Das wissen wir Bürger*innen, Teile der Politik und der Rest der Welt.

Salzburg, 2020/06 – Gerd

Hinweise

Bruttoinlandsprodukt (BIP) = Wertschöpfung aus allen Waren und Dienstleistungen im Lande minus Vorleistungen (z.B. Produktionskosten)

Berechnung Schuldenquote = Schulden (280 Mrd.) / BIP (398 Mrd.) * 100 = 70,4 %

Depression = lange anhaltende Wirtschaftsflaute

EZB = Europäische Zentralbank | für den Euroraum zuständige Zentralbank

Anleihen = verzinstes, rückzahlbares Fremdkapital

Bonität = Einschätzung der Zahlungsfähigkeit

Maastricht-Kriterien = Regelkatalog für die Teilnahme am EURO | darin ist auch eine Schuldengrenze von 60 % des BIP für jeden Staat festgeschrieben (oder maximal 3 % des BIP Neuverschuldung im Jahr)

Rating = Bonitätsbewertung von Ländern und Unternehmen, u.a. ausschlaggebend für die Verzinsung ihrer Schuldentitel

Der private Konsum macht in Österreich rund 50 % des BIP aus und wurde durch Corona stark beeinträchtigt

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