Content-ID: 013|01 | Autor: Gerd | Stand: 30.7.2020

RE-Globalisierung | 01

Die ganze Welt im Warenkorb

Vom Buh-Thema zurück zur Zukunftsvision. Wir haben tatsächlich ein Level der Globalisierung erreicht, auf dem ihre negativen Effekte zur spürbaren Bedrohung für die Menschheit geworden sind. Dass jetzt der Ruf zu einer Neuordnung der Welt und ihrer Vernetzung lauter wird, ist daher mehr als verständlich. Wohin die Reise gehen soll, diskutieren wir gerade. Klar ist dabei aber nur, dass noch mehr vom Gleichen uns nicht aus den Krisen bringen wird, in denen wir bereits stecken.

Oft wird Globalisierung mit der internationalen Vernetzung der Wirtschaft im Bereich Produktion, Logistik und Handel bzw. Dienstleistung gleichgesetzt. Diese Sichtweise ist aber zu eng. Die Wechselwirkung globaler Strukturen geht weit über das weltweite Spiel der Märkte hinaus. So gibt es die internationale Kooperation von Nationen z.B. in der UNO oder der EU als Friedens- oder Koordinations-Projekte internationaler Interessen. Oder wir kennen die weltweite Mobilität der Menschen und die Macht der Digitalisierung über alle nationalen Grenzen hinweg. Aber auch der Austausch von Wissen und Informationen, die technische Entwicklung, die Versorgung der Menschen u.v.m. laufen heute weltumspannend. Globalisierung findet immer dort statt, wo regionale Kapazitäten nicht ausreichen, lokale Möglichkeiten fehlen oder internationale Strukturen dienlich sind – also in fast allen Bereichen unseres Lebens. Das gilt im positiven Bereich als Chance der Menschheit bei der Bewältigung künftiger Herausforderungen. Globalisierung erzeugt aber auch massive negative Effekte für die Erde und die darauf lebenden Zivilisationen. Der Klimawandel, Umweltverschmutzung, Armut, Wirtschaftskrisen, Versorgungsengpässe, Kriege und Kriminalität sind einige sehr konkrete Bedrohungen durch internationale Maßlosigkeit und mangelnde Weitsicht. Diese Risiken gilt es zu minimieren, ohne die Potenziale einer globalisierten Gesellschaft zu gefährden. Nur wie?

Weltumspannende Allgegenwart

Ob wir es wollen oder nicht: Durch Jahrzehnte des Wachstums, des technischen Fortschritts und der globalen Vernetzung sind die Effekte der Globalisierung mittlerweile allgegenwärtig. Egal, ob gut oder böse, ob Chance oder Risiko, ob gewollt oder einfach passiert, wir alle wirken weltweit und die Welt wirkt auf uns. Wie weit internationale Beiträge zu selbst den bodenständigsten Leistungen beitragen können, zeigt folgendes Beispiel.

Stellen Sie sich einen mittelständigen Landwirtschaftsbetrieb im Herzen Österreichs vor. Hier wird nachhaltig und selbstverständlich auch Bio produziert. Permakultur und der Verzicht auf Pestizide sind auf diesem Hof Standard. Als Nutztiere werden alte, regionale Rassen gehalten. Die Getreide- und Gemüsesorten sind an die geologischen und klimatischen Bedingungen bestens angepasst. Die Familie arbeitet voll am Hof mit, lebt sparsam und pflegt das traditionelle, bäuerliche Leben. Auch die Vermarktung der Produkte erfolgt ab Hof und über den ausgewiesenen Bio-Handel. Dieser Betrieb entspricht so unseren Vorstellungen einer ursprünglichen, bedarfsgerechten, qualitativ hochwertigen und lokalen Versorgung. Und trotzdem wirken auch positive und negative Effekte der Globalisierung gehörig mit im bäuerlichen Alltag.

Da selbst die gesamte heimische Landwirtschaft nicht in der Lage wäre, den Lebensmittelbedarf der Österreicher*innen zu decken, stehen die Grenzen heute schon für Importe aus Europa und der ganzen Welt offen. Damit haben heimische Kund*innen immer auch die Wahl zwischen minderwertigen, billigen Import- und hochwertigen, regionalen Produkten. Über die Supermarktketten geraten dabei die Erzeuger*innen-Preise, selbst für inländische Bio-Ware, unter Druck. Das wirkt sich negativ auf den Verdienst der Landwirt*innen aus. Um ausreichend Erlöse für die Instandhaltung des Hofs, das tägliche Geschäft und ein gutes Leben der Familie zu erwirtschaften, braucht es daher zusätzliche Impulse. Die könnten eine Steigerung des Ernteertrags, vom Markt akzeptierte höhere Preise oder zusätzliche Vertriebskanäle bringen.

Angesichts häufiger werdender Dürre- und Unwetter-Ereignisse als Folge des globalen Klimawandels, fällt eine Steigerung der Erträge weitgehend flach. Im Gegenteil: Die Ausfälle und Produktionskosten nehmen zu, die Gewinnspanne sinkt und auch die Produktqualität leidet. Für das Nutzvieh muss Futter zugekauft werden und auch die Milch und Fleischpreise sind durch die weltweite Überproduktion seit Langem im Keller. Zudem nagen Kunstdünger-, Pestizid- und Gen-Getreide-Wolken (aus z.B. deutsch-amerikanischer Produktion) vom Nachbarn an der Bio-Qualität der eigenen Produkte. Jetzt steigen auch noch die Prämien der Ausfallsversicherung mit Sitz in der Schweiz und auf Anweisung der Europäischen Zentralbank der Risikoaufschlag auf den Kredit bei der Hausbank.

Um einigermaßen in Schwung zu bleiben, hat der Bauer letzten Monat einen Online-Vertrieb eingerichtet. Die Homepage und der WEB-Shop laufen auf europäischen und amerikanischen Servern und werden über eine koreanische Hardware mit Bauteilen aus 18 verschiedenen Ländern bedient. Der Software-Mix ist ein internationales Sammelsurium mit amerikanischem Schwerpunkt. Der Internet-Provider macht auf österreichisch, ist jedoch in mexikanischem Besitz. Die Flyer für den Hof-Laden werden in einer europäischen Groß-Druckerei hergestellt und vom weltweit vernetzten Spediteur geliefert. Der eigene Lieferwagen stammt aus Deutschland, seine Bauteile jedoch aus 32 verschiedenen Nationen aus allen Ecken dieser Erde. Eines sogar vom Zulieferanten aus der Nachbarschaft des Bauern. Die Erntemaschinen und der Traktor sind österreichische Marken mit italienischem Innenleben. Die fleißigen Erntehelfer*innen kommen vorwiegend aus Osteuropa. Die Photovoltaik-Anlage wurde im fernen Osten gefertigt und der einäugige Hund kommt aus Griechenland.

Medizinisch werden die Bauersleute (neben den eigenen Hausmitteln) vorwiegend aus China und Deutschland versorgt. Beim privaten Konsum, inklusive Bekleidung, kämpft auch diese Familie stets mit der Versuchung, Produkte günstiger einzukaufen, die am anderen Ende der Welt hergestellt werden. Sie entscheidet sich aber heldenhaft für weniger, weil teurere, dafür aber regionale Produkte. Und selbst die holt sie sich im Laden um die Ecke und verzichtet auf die Dienste des Versandhandels. Alle Familienmitglieder sind sozial integriert und online vernetzt, essen mit Vorliebe Pizza und machen noch gemeinsam Urlaub in Kroatien. Die Eltern sehen gerne französische Filme, der Sohn absolviert ein Praxisjahr in Kanada und die Tochter hat sich gerade „nach Portugal“ verliebt.

Sie sehen, es braucht gar nicht Corona, um zu erkennen wie abhängig man von den internationalen Liefer- und Wertschöpfungsketten ist – selbst in einer bio-bäuerlichen Idylle. Trotzdem sind die Auswirkungen der globalen Pandemie aktuell zusätzlich zu spüren. Die Konsument*innen schätzen aktuell zwar regionale Qualität wieder mehr als früher, haben aber durch Job-Verlust und Kurzarbeit weniger Geld zur Verfügung. Trotzdem hilft der lokale Absatz, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Die ortsansässige Gastronomie hat die Abnahmemengen radikal drosseln müssen. Und der Schmankerl-Vertrieb an Tourist*innen ist ebenso eingebrochen wie der Export in Partner-Regionen, die von Corona besonders betroffen sind. Wäre das nicht schon genug, bleiben auch noch die Gäste für einen Urlaub auf dem Bauernhof aus. Zudem waren die schleppende Wiedereröffnung des Hofladens nach dem Lockdown und die Ausstattung mit (chinesischen) Hygieneartikeln eine große Zitterpartie. Bleibt jetzt nur noch zu hoffen, dass der Corona-Impfstoff, der irgendwo auf dieser Erde, nur nicht hierzulande, gefunden werden wird, es auch bis ins Herz Österreichs schafft.

So viel wie nötig, so wenig wie möglich

Alle in obigem Beispiel beschriebenen, Herausforderungen entspringen dem Zusammenspiel globaler und lokaler Wirkungsketten. Sie sind gelebte Realität und teils untrennbar miteinander verwoben. Das macht den Ausstieg aus Risiken der Globalisierung und die Stärkung lokaler Strukturen so schwierig. Egal wo auf dieser Welt, die Überlebensfähigkeit der örtlichen Betriebe und Strukturen sind und bleiben die Basis einer regional selbstbestimmten Wirtschaft. Auch wenn z.B. heimische Lebensmittelerzeuger*innen nie den nationalen Bedarf decken können, sollten sie doch das Gros der Versorgung übernehmen. Das sichert einerseits das wirtschaftliche Überleben der heimischen Wertschöpfungskette dieser Branche. Andererseits verhindert es Lebensmittelskandale, Tier-Leid, die Klimakatastrophe und so manche Versorgungsengpässe etc. Das gilt für den österreichischen Bio- oder auch Tourismus-Betrieb genauso wie für die chinesische Industrie, die Erzeugung italienischer Luxusgüter oder die amerikanische IT-Branche etc.

Es braucht also auch in Zukunft zwingend globale Tools, um regionale Wirtschaftszweige zu erhalten und zu fördern. Dazu zählen u.a. technische Entwicklungen, Digitalisierung, Forschung, Bildung, der freie Personenverkehr und der Austausch von Kapital und Waren, die nicht lokal verfügbar sind. Gelingt das, sichert das die Kaufkraft und in Folge den Lebensstandard der Bevölkerung vor Ort. Da die einseitige Änderung gewohnter Abläufe jedoch oft nur zu Lasten anderer erfolgt, braucht es auch einen Ausgleich für betroffene Regionen. So verursacht z.B. ein Konsum-Verzicht in Europa Arbeitslosigkeit in Asien oder Südamerika. Handelsbarrieren führen zu wirtschaftlichen Einbußen, Veränderungen im Mobilitätsverhalten zwingen die Autobauer und Fluglinien umzudenken, die Bepreisung von CO2 führt zu Preisanpassungen u.v.m. Möchte man die breite Bevölkerung davon überzeugen, an einer Re-Globalisierung mitzuwirken, ist es daher notwendig, konkrete Lösungen für die Probleme der Zeit danach zu formulieren. Und die haben vorwiegend damit zu tun, negative Auswirkungen zu vermeiden, die bei der Abschaffung negativer Effekte der Globalisierung entstehen.

Was konkret Unbehagen bereitet:

Es ist die Ein-Dimensionalität, mit der in der Öffentlichkeit dieses Thema und seine negativen Effekte diskutiert werden, die mich am Lösungswillen der Entscheider*innen dieser Welt zweifeln lässt. Globalisierung ist, aus welchem Blickwinkel auch immer, eine der komplexeren Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft. Wir sollten uns daher bewusst sein, dass jegliche Einflussnahme auf internationale Verkettungen eine Unmenge an Reaktionen nach sich zieht. Das ist zwar gefährlich, es bietet aber auch die Möglichkeit, mit wenigen Entscheidungen die Welt zum Besseren zu verändern. Und dafür wäre es längst an der Zeit!

 

Was wir gegen das Unbehagen tun können:

Nutzen wir doch unsere individuellen Möglichkeiten als Wähler*innen und Konsument*innen, um die Welt auf Vordermann zu bringen. Bestimmen wir aktiv, wem wir die Verantwortung über die weltweite Vernetzung und Kooperation der Völker übergeben und wen wir außen vor lassen wollen. Gestalten wir ab sofort diese Welt, ihre Regionen und ihre Märkte zum Wohle aller. Vor allem aber, gehen wir als gutes Beispiel selbst voran. 

 

Salzburg, 2020/07 – Gerd

Hinweise

Gobalisierung = weltweite Verflechtung | siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Globalisierung

Gewinnspanne = Verdienstanteil der Unternehmen am Gesamtpreis eines Produktes

Sammelsurium = aus vielfältigen Teilen ungeordnet zusammengestellt

Flyer = gedrucktes kleines Verkaufsprospeckt

Photovoltaik-Anlage = gewinnt Strom aus Sonnenenergie

Wertschöpfungskette = alle Unternehmen, die an der Bereitstellung eines Produktes mitwirken

Anmerkung

Zum Thema Globalisierung ist eine Reihe an Beiträgen in Vorbereitung. Dazu laufen schon intensive Recherche-Arbeiten. Solten Sie mit zu diesem Thema Infortmationen oder Meinungen zukommen lassen sollen, nutzen Sie dazu bitte die Redaktionsseite »

Demächst: Re-Globalisierung | 02, Die bittere Wahrheit

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