Mönchsberg Paradoxon

Content-ID: 025|01 | Autor: Gerd | Stand: 5.11.2020

Das Mönchsberg-Paradoxon

Wo selbst die Wirklichkeit sich widerspricht

box = nähere Details finden Sie in der Fakten-Kiste am Ende dieses Beitrags.

Selbst im TV, in Tageszeitungen oder auf Online-Foren stößt man schnell auf Widersprüchlichkeiten. Gemeint sind Details zu einem Thema, die eigentlich nicht zusammenpassen. Davon gibt es mehr, als wir oft wahrhaben wollen. Zum Beispiel legen viele Menschen Geld auf ein Sparbuch ohne Zinsen. Andere verheizen, trotz Klimawandel, weiter Öl und Gas. Und wieder andere gehen nicht wählen, um ein demokratisches Statement zu setzen. Ich bin mir sicher, auch Sie haben reichlich Erfahrung mit schrägen Konstellationen, die so nicht sein dürften. Also: Welche Diskrepanzen begleiten Sie so durchs Leben? Was empfinden Sie aktuell als absurd? Und was haben ein Schulmädchen und ein Parkhausbox in Salzburg damit zu tun?

Die Idee zu einer Geschichte rund um große Widersprüche in unserem Alltag stammt ursprünglich von Lena. Sie hat zu Beginn dieses Semesters in der Schule die Aufgabe bekommen, sich Gedanken zu einem „Paradoxon“ zu machen. Also zu einer Widersprüchlichkeit, die ihr in Ihrem Umfeld aufgefallen ist. Darüber sind wir ins Gespräch gekommen.

Lena ist die Tochter unserer Freunde Herbert und Carina. Sie ist 11 und besucht ein Gymnasium in der Nähe. Lenamaus, wie sie von ihrer Mutter genannt wird, ist ein sehr gescheites Mädchen. Gescheit im Sinne von intelligent, nicht altklug oder naseweis. Sie gehört zu jenen Kindern, die komplexe Zusammenhänge oft besser verstehen als viele Erwachsene. Das mag einerseits daran liegen, dass sie viele Fragen stellt – gute Fragen. Damit schafft sie es immer wieder, ein Thema in seine Einzelteile zu zerlegen. So kommen die Fakten in den Vordergrund. Störende Emotionen und Vorurteile bleiben hingegen außen vor. Andererseits besitzt das Mädchen die Gabe, diese Fakten sinnvoll zusammenfassen und verständlich weitergeben zu können. Das macht sie zu einer sehr ergiebigen Gesprächspartnerin für uns Erwachsene. Besonders dann, wenn es gilt, die Gewohnheiten, Anliegen und Ängste von Kindern zu deuten. Denn seien wir uns ehrlich: Wir Alten wissen längst nicht mehr, wie unsere Kids ticken – wir tun nur so!

Das „Loch im Mönchsberg“ ist’s geworden

Mir persönlich hat es natürlich gefallen, dass ich von Lena offen um einige Beispiele für paradoxe Situationen gebeten wurde. So erzählte ich von der Zeit, die Menschen im Stau verbringen, anstatt sie aktiv zu nutzen. Von alten Menschen, die man einsperrt, nur um sie zu schützen, oder von giftigen Chemikalien, mit denen man Lebensmittel behandelt. Sie wiederum berichtete von ihrem Onkel, der auf Klimademos geht und einen uralten Diesel fährt. Aber auch die Geschichte von Samira, ihrer besten Freundin, die gut integriert war und trotzdem abgeschoben wurde, passt für sie nicht zusammen. Ebenso sollten die Politiker*innen mehr auf die Kinder hören, wenn sie von der Zukunft reden und ihre Eltern nichts verlangen, was sie unmöglich schaffen kann. Da konnte ich sie auch mit der Geschichte von einem Präsidenten nicht mehr aufheitern, der pausenlos lügt, nur um für glaubwürdig gehalten zu werden. Und auch nicht mit dem Harlekinfrosch (den ich schnell gegoogelt habe), dessen Kaulquappen 3-mal so groß sein können wie die später erwachsenen Tiere.

Aber irgendwie hatte ich ohnehin schon das Gefühl, Lena wüsste bereits, welches Paradoxon sie in ihrem Aufsatz behandeln würde. Kein Wunder also, dass auf die Frage danach auch prompt eine Antwort kam. Für sie: „… ist paradox, dass in Salzburg eine neue, große Parkgarage in der Innenstadt gebaut werden soll.“ Es passt irgendwie nicht mit dem Klimawandel zusammen, über den in der Schule so oft gesprochen wird. Dort ist man sich einig, dass es um die Zukunft der Erde gar nicht rosig bestellt sein soll. Aber auch, dass man jetzt noch etwas dagegen tun könnte. Es müsste halt auch der Autoverkehr weniger werden als bisher. Nicht mehr selbst fahren, dafür den Bus oder die Bahn benutzen, hilft, hat man ihr gesagt. Das versucht Lena jetzt bei jeder Gelegenheit auch ihrem Opa zu erklären. Und sie hat Erfolg damit. Sie selbst fährt gerne mit dem Fahrrad, geht zu Fuß und benutzt auch mal die Öffis. Kindern scheint es viel leichter zu fallen, etwas Ungeliebtes zu tun, das sie jedoch als logisch empfinden, als uns Erwachsenen. Deshalb geht Lena auch davon aus, dass der Verkehr tatsächlich weniger werden wird, um das Klima zu retten. Warum also mehr Parkplätze, wenn weniger Autos in die Stadt fahren? Das ist für das Mädchen ein klarer Widerspruch.

Naja, so einfach kann man das jetzt nicht stehen lassen, glaube zumindest ich. Daher erzähle ich von den Geschäften und Gasthäusern in der Innenstadt. Von Betrieben, die sich wünschen, dass man das Auto möglichst nahe parken darf. Und dass die Menschen nur dann in die Innenstadt kommen, wenn sie rasch selbst hineinfahren können. Aber auch, dass die Leute nicht gerne eng neben anderen Menschen in den Bussen sitzen möchten. Und dass sie Platz für ihre Einkäufe brauchen. In dem Augenblick, als ich’s gesagt hatte, wusste ich, dass Lena mich jetzt mit ihren Fragen gnadenlos bloßstellen wird. Und so bohrte sie mit großen Augen nach, warum noch mehr Autos in die Stadt sollen, wenn doch schon jetzt die Straßen verstopft sind? Müsste man da nicht erst Häuser abreißen und die Straßen verbreitern? Aber auch, dass nur deshalb so viele Autos unterwegs sind, weil oft nur eine Person drinnen sitzt, scheint klar zu sein. Lena hat längst nachgerechnet, dass, wenn mehr Leute im Auto säßen, es jetzt schon keinen Stau und kein Parkplatzproblem mehr gäbe. Und da ja in Bussen 50-mal mehr Menschen Platz haben als in PKWs, wäre es da nicht gescheiter, Busse statt Autos zu verwenden? Und da Busse tagsüber ja nicht parken müssen, brauchen die dann wirklich mehr Parkplätze in der Innenstadt? Lena weiß natürlich aus eigener Erfahrung, dass das Angebot an Bussen und Taxis in die Stadt mehr und besser werden muss, damit es mehr Leute nutzen. Aber 5-mal so viele Busse wie jetzt schrecken sie weit weniger als noch mehr Autos.

Es geht auch „unparadox“

Lena ist mit ihrem Bruder und den Eltern im Sommer 2019 durch Nordeuropa gereist. Dort waren sie in Städten ohne ein einziges Auto in der Innenstadt. Es gab nur Menschen, unglaublich viele Menschen, die mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs waren. Die Straßen, Plätze, Geschäfte und Restaurants waren voll von Einheimischen und Tourist*innen. Und irgendwie schienen all diese Betriebe auch gute Geschäfte gemacht zu haben. Aber so genau weiß Lena das nicht. Lediglich daran, dass sie selbst fein essen waren und Souvenirs gekauft hatten, kann sie sich erinnern. In die Städte hinein und wieder heraus gekommen sind die Leute nur mit Bussen oder Zügen. Das Auto hatten viele Menschen tagsüber am Stadtrand in einer Garage geparkt. Aber Lena und ihre Familie mussten das nicht, sie sind den ganzen Urlaub mit der Bahn unterwegs gewesen.

Natürlich hat Lena von dieser Reise auch in der Schule berichtet, als es um den Klimawandel und die Rolle des Autoverkehrs gegangen ist. Dabei hat ihr die Lehrerin erzählt, dass schon in vielen Orten der Welt der Verkehr anders organisiert wird, als wir es aus Salzburg kennen. Aber auch hier werden wir neue Wege finden müssen, die Menschen bewegt zu halten, ohne weiter die Umwelt zu zerstören. Deshalb ist es für Lena paradox, dass, wenn Autos von der Innenstadt ferngehalten werden sollen, genau dort ein neues Parkhaus entsteht. So richtig sinnlos wird es für sie aber erst, wenn dafür ein riesiges, teures und letztendlich unnützes Loch in den Berg gegraben werden muss. Genau da kommt Lena wieder so richtig in Fahrt: Kann man das viele Geld nicht sinnvoller verwenden? Was geschieht mit der Garage, wenn keine Autos mehr in die Salzburger Innenstadt kommen? Schon etwas von autonomen Taxis, supermodernen Öffis, der Stadtbahn oder anderen Zukunftstechniken gehört? Ja, auch damit beschäftigen sich die Kids von heute in ihren Schulprojekten.

Wenn es nach Lena ginge, würde sie heute schon vieles anders machen, als es die Politik gerade tut. Ihre Generation steht nun einmal für ein Engagement für die Menschen und ihre Umwelt. Trotzdem fühlt sich Lena oft nicht ernst genommen. Aber auch wenn die Kids von heute in der Öffentlichkeit noch nicht gehört werden, bin ich mir sicher: Das wird sich rasch ändern. Spätestens dann, wenn auch diese Jahrgänge, wie ihre heute schon (klima-)aktiven Kolleg*innen, die Zukunft selbst in die Hand nehmen. Und in dieser Zukunft, so zumindest habe ich das herausgehört, haben Projekte wie eine Garage im Berg wenig zu suchen.

PS: Lena hat für ihren Aufsatz eine Eins bekommen – was sonst?

Salzburg, 2020/11 – Gerd

box = Fakten-Kiste
Politthema „Mönchsberggarage“

In Salzburg wird seit 2012 der Bau einer zusätzlichen Garage mit 650 Stellplätzen direkt im Mönchsberg geplant und diskutiert. Die geplanten Kosten belaufen sich auf 29 Millionen Euro. Damit sollen weitere Parkplätze nahe der Innenstadt geschaffen werden. Die derzeitige Parksituation in und rund um die Innenstadt ist sehr beengt. Aktuell existiert bereits eine Garage im Mönchsberg mit knapp 1.300 Stellplätzen, die seit 2016 zwischen 60 und 100 Tagen im Jahr mindestens einmal am Tag voll ausgelastet waren. Oder umgekehrt ausgedrückt, zu (fast) allen Zeiten stehen auch jetzt für Parkplatzsuchende Stellplätze zur Verfügung.

Die Kritik der Gegner*innen der Parkgarage stützt sich darauf, dass mit mehr Parkplätzen auch mehr Verkehr in die Innenstadt gelotst werden wird. Angesichts des Rufes von Salzburg als Stauhauptstadt Österreichs, mit mehr stehenden als fahrenden Autos, ist die Befürchtung einer weiteren Überlastung der Verkehrsinfrastruktur sehr realistisch. Zudem sind Auswirkungen auf die Lebensqualität der Anwohner*inne zu befürchten. Ziel einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik sollte es daher sein, dass der Zielverkehr schon am Stadtrand abgefangen und die Besucherströme mit einem verbesserten Öffi-Netz weitergeleitet werden. Dabei wirken zusätzliche Motivationen, mit dem Auto direkt ins Zentrum zu fahren kontraproduktiv.

Zudem wird für den Bau der Garage ein Werks-Tunnel mit Zufahrt über ein geschichtsträchtiges und geschütztes Grünlandstück im Süden des Mönchsberges benötigt. Darüber und durch die noch idyllischen südlichen Stadtteile Gneis, Morzg und Nonntal sollen mehrere Jahre lang der gesamte Schwerverkehr geleitet werden. Aktuell wird zwar beteuert, dass nach Beendigung der Bauarbeiten diese Trasse wieder zurückgebaute werden soll. Es steht jedoch zu befürchten, dass mangels ausreichender Verkehrskapazitäten zu den bisherigen Einfahrten, diese zu einer öffentlichen Zufahrt ausgebaut werden soll. Damit wird auch in die teils historische und natürlich gewachsene Struktur der südlichen Wohnviertel eingegriffen.

Aktuell scheint das eigentlich politische Match rund um die Erweiterung der Mönchsberggarage als „JA, weil wir es können“ gegen „Nein, weil wir es nicht müssen“ zu laufen.

Hinweise

Lena: Ihr tatsächlicher Name und alle biografischen bzw. demografischen Informationen wurden aus Datenschutzgründen geändert.

Paradox: Widersprüchlich, äußerst merkwürdig, absurd, unlogisch, absonderlich | Pradoxien: U.a. Dinge, auf die man sich keinen Reim machen kann. Oft lösen sich Paradoxien unter anderen Betrachtungswinkeln auf, leider aber nicht immer.

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