Die 2. Welle surfen

Content-ID: 020|01 | Autor: Gerd | Stand: 17.09.2020

Die 2. Welle surfen

Was fehlt, um sich Corona-sicher zu fühlen?

box) = nähere Details finden Sie in der Fakten-Kiste am Ende dieses Beitrags.

Auf den ersten Blick wähnen wir uns gut aufgestellt. So als hätten wir Corona im Griff. Wir kennen das Virus, seine Gefährlichkeit und Maßnahmen, die uns vor ihm schützen sollen. Zumindest glauben wir das, aber stimmt das wirklich? Die Welt ist sich nämlich so gar nicht einig darüber, was in den nächsten Monaten auf uns zukommen wird. Die Expert*innen warnen, die Politik zeigt sich nicht sattelfest und wir selbst gehen immer öfter eigene Wege. Das passt nicht zusammen! Was also fehlt aus Ihrer Sicht noch, damit wir alle sicher durch den Corona-Winter 20/21 kommen?

Immer häufiger ploppen in meinem Bekanntenkreis heftige Diskussionen darüber auf, wie es wohl mit Corona weitergeht. Da gibt es die einen, die Coolen, denen das Problem viel zu hochgeschaukelt wurde. Da ist von „heftiger Grippe“, „gefakten Berichten“ und „Demokratieabbau“ die Rede. Diesen Leuten geht es vorrangig darum, die Pandemie-Einschränkungen rasch wieder loszuwerden. Ihnen gegenüber stehen die Vorsichtigen. Die erachten das Virus als ernste Bedrohung für Leib und Leben. Aus ihrer Sicht wurden wir hierzulande vom Virus zwar weitgehend verschont. Horrormeldungen aus anderen Ländern zeigen uns jedoch, was uns noch blühen wird. Sie fordern mehr Regeln und eine straffere Führung durch die Krise.

Ich persönlich sehe mich da irgendwo in der Mitte – nicht übertrieben locker, aber auch nicht übermäßig verkrampft. Ja, ich erkenne die Gefahr, die das Virus für mich und meine Lieben mit sich bringt. Auch die radikale Wirkung der Pandemie auf unsere Gesellschaft erlebe ich als sehr real. Immerhin erleben wir gerade einen Mix aus mehreren Krisen. Ob am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft, ob für die Gesundheit, die Demokratie oder im sozialen Umfeld – die Welt ist durch Corona ungemütlich geworden. Deshalb sehe ich aktuell die Notwendigkeit, den drohenden Gefahren im Kollektiv zu begegnen. Zusammenrücken, nicht auseinanderdriften, war seit jeher die Überlebensstrategie der Menschheit in Gefahrenzeiten. Deshalb ist gemeinsam vorzugehen und uns gegenseitig zu schützen mein Gebot der Stunde.

Bessere Chancenverwertung!

Gleich vorweg: All das, was jetzt folgt, ist nicht neu. Diese Ideen liegen seit Beginn der Pandemie in Österreich auf dem Tisch und werden breit diskutiert. Natürlich auch in meinem Bekanntenkreis. Dabei geht es im Grunde immer nur darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, die besser für die Bewältigung der Krise passen als die gewohnten. Für die Menschen, Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen heißt dies z.B. weniger in geschlossenen Räumen zu veranstalten, sondern mehr ins Freie auszuweichen. Oder Events nicht zu verdichten, sondern auseinanderzuziehen – zeitlich und räumlich. Das alles wissen wir! Und trotzdem waren bisher kreative Lösungen in diese Richtung Mangelware. Wir brauchen endlich mehr praxistaugliche Ideen, um unbeschadet durch den Corona-Winter 20/21 zu kommen.

Werkverträge statt Almosen

Warum nicht schon im Mai 2020 jene Abertausend kreative Köpfe der Agentur- und Kulturszene im Lande zu lokalen Thinktanks zusammengefasst wurden, weiß ich nicht. Um geeignete Lösungen für örtliche Herausforderungen zu suchen und umzusetzen, wären diese Leute genau die richtigen. Statt Nothilfe ohne, gibt es dann Werkverträge mit Gegenleistung. Jedes Projekt erhält direkt Subventionen für die benötigte Hardware. Die Gemeinden bekommen passende Lösungen für den Kultur-/Event-Betrieb, das Vereinswesen oder den lokalen Einzelhandel. Und zwar nicht nur für die Zeit während der Pandemie, sondern – sofern schlau gedacht – auch für die Zeit danach.

Groß denken und groß handeln

Wer mehr Platz braucht, um eine Leistung Corona-gerecht zu erbringen, soll ihn auch kriegen. Parkplätze, Parks, Dorfplätze, Messe- oder Konzerthallen, Industrie-Gelände, Freizeitanlagen u.v.m. eignen sich genauso gut als Märkte, Bühnen oder Treffpunkte wie kleine Veranstaltungsräume oder enge Geschäfte. Dafür braucht es lediglich Infrastruktur, Technik und Logistik. Dazu noch die Gastronomie einbinden, alles wetterfest machen und gezielt bespielen. So wäre z.B. das Vergrößern von Weihnachtsmärkten mit Corona-tauglicher Logistik die logische Alternative zu einer Absage. Tipp: Lokale Thinktanks (siehe oben) hätten sicher weitere sensationelle Ideen auch für Ihre Gemeinde.

Testen in der Gruppe

Stellen Sie sich vor, es könnte für Gruppen von z.B. zehn Personen innerhalb kurzer Zeit ausgeschlossen werden, dass jemand infiziert ist. Alle spucken in ein Röhrchen und wenn kein Virus gefunden wird, sind alle negativ. Erst wenn mindestens ein positives Ergebnis dabei ist, müssten die Gruppenmitglieder einzeln nachgetestet werden. Damit ließen sich Angestellte von (Tourismus-) Betrieben ebenso zielgerichtet testen wie Schulklassen, Familien oder Gästegruppen. Ob bei der An- oder Abreise, täglich im Klassenraum, nach dem Fest, vor dem Auswärtsspiel u.v.m. – kein Virus ist nämlich auch ein Ergebnis.

Was ist Eigenverantwortung?

Zum Thema Eigenverantwortung gehen in meinem Bekanntenkreis regelmäßig die Wogen hoch. Die einen verstehen darunter, nur für sich selbst verantwortlich zu sein. Ganz nach dem Motto, wenn jede*r an sich selbst denkt, ist an alle gedacht. Die anderen, eher sozial geprägten Personen, fordern, eigenständig Verantwortung auch für andere Menschen zu übernehmen. Ein derartiger Akt der Solidarität ist jedoch ein weit schwierigeres Unterfangen, als das Ausleben puren Egoismus. Um gut miteinander auszukommen, bräuchte es daher wieder mehr Respekt der Menschen untereinander. Zwar ist es angesichts von Verschwörungstheorien, Neo-Nazi-Protesten und unveränderter Gier nach Macht und Reichtum herausfordernd, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Sich auf einen sorgsamen Umgang miteinander zu einigen, scheint jedoch sinnvoll, um sicher durch diesen Corona-Winter zu kommen.

Haltet euch an die Hygiene-Standardsbox)

Mir würde es schon reichen, wenn die Menschen sich an jene Grundregeln halten, die sie aus der Kinderstube mitgenommen haben sollten. Hände waschen, nicht spucken oder unbedeckt niesen und nicht immer im Gesicht herumfummeln. Wenn wir also mehr Seife verwenden und die Verteilung von Körperflüssigkeiten in der Atemluft vermeiden, sind wir schon auf der sicheren Seite. Ich für mich kann da grünes Licht geben. Trotzdem habe ich Bedenken! Kann ich von Menschen, die sich nicht einmal nach dem Lulu-Gang die Hände waschen, ernsthaft erwarten, dass ihnen der Kampf gegen das Virus ein Anliegen ist?

Abstand halten

Jeder Mensch hat eine Wohlfühlzonebox). Das ist eine Art natürliches Radar, das die Distanz zu anderen Personen misst und je nach Vertrautheit Alarm schlägt. Es bräuchte also gar keinen Babyelefanten, der uns daran hindert, anderen zu nahe auf die Pelle zu rücken. Wir haben ein feines Gespür für Nähe bzw. Distanz, das uns vor ungewollter Ansteckung schützen kann. Wir sollten es nur immer eingeschaltet haben. Auch wenn wir gerade singen, grölen bzw. gestresst, begeistert, betrunken oder geil sind. Eine gute Armlänge Abstand, nicht singen und immer in die Gegenrichtung husten, was ist da so schwierig dran?

Mehr Schutz außer Haus

Es ist in unserer Gesellschaft üblich geworden, dass jene Menschen, die Schutz brauchen, abgesondert werden, und selten jene, die sie gefährden (Corona-Krankheits- und -Verdachtsfälle ausgenommen). Sich vor dem Virus selbst zu schützen, heißt daher für Alte, Kranke und Vorsichtige, sich selbst aus dem Spiel zu nehmen. Das muss ein Ende haben. Selbst wenn es nicht gelingt, die Gesellschaft zu mehr Rücksicht zu bewegen, braucht es für Betroffene Möglichkeiten, ungefährdet am öffentlichen Leben teilzunehmen. Dabei helfen (gratis) FFP2-Masken und andere Hygiene-Artikel, schnellere und regelmäßigere Tests, garantiert virenfreie Freizeit- und Konsumangebote für Risikogruppen und mehr Rechte gegenüber aufdringlichen Mitbürger*innen.

Expertise an höchster Stelle

Für uns ist klar: Für die Politik arbeitet ein Team aus Expert*innen, die Fakten zu Corona schaffen und Empfehlungen erarbeiten. Und es gelingt ihnen tatsächlich, über komplexe Simulationen jene kurzen Blicke in die Zukunft zu erhaschen, die es so dringend braucht. Das ist viel Arbeit, die letztendlich von Vertreter*innen der hohen Politik immer dann ignoriert wird, wenn eine Kamera in der Nähe ist. Das klingt jetzt respektlos. Es verdeutlicht aber ganz gut, wie (wenig) maßgebliche Expert*innen in die Krisenstrategie der Regierung eingebunden zu sein scheinen. Kein Wunder also, wenn Verordnungen nicht lange halten, weil sie der Verfassung widersprechen. Wenn eine Horrormeldung zu 100.000 Toten die Runde macht, obwohl sie nie realistisch war. Oder wenn eine Corona-Ampelbox) Verwirrung stiftet, anstatt sie zu beseitigen.

Was wir Bürger*innen in den letzten sechs Monaten gelernt haben, ist, dass die Politik für die Herausforderung Corona nicht gerüstet scheint. Egal ob mangels Expertise oder aus anderen Gründen: Hier muss sich etwas ändern. Immerhin wollen wir alle sicher durch den Corona-Winter 20/21 kommen.

Rückkehr der Expert*innen-Regierungbox)

Es gibt neben Corona noch eine ganze Reihe an Herausforderungen, die seitens der Regierung gemeistert werden müssen. Sei es die Klimakrise, die Migrationsfrage oder der Brexit, auch hier braucht es hohes Engagement und Zeit, um Lösungen zu finden. Liebe Regierung: Es ist offensichtlich, dass Corona und die damit verbundene Wirtschaftskrise nicht zu Ihren Lieblingsfächern zählen. Treten Sie daher bitte im Corona-Krisenstab beiseite. Erteilen Sie den Expert*innen umfangreiche Vollmachten und lassen Sie diese die nötige Arbeit tun. Das verschafft Ihnen große Freiräume für andere Regierungsaufgaben. Glauben Sie mir, es wird Ihnen später als Stärke ausgelegt werden, wenn sie zur Bewältigung dieser sehr ernsten Krise Kompetenteren den Platz überlassen haben.

Salzburg, 2020/09 – Gerd

box) = Fakten-Kiste
Ad „Hygiene-Standards“
Ad „Wohlfühlzone“

Jede Person pflegt mehrere Distanzzonen um sich, in die sie nur bedingt andere Personen eindringen lässt. Dabei spielt die „persönliche Zone“ (60 – 150 cm Abstand) eine große Rolle. Wir verweigern nämlich ganz automatisch nicht vertrauten Menschen zu große Nähe zu uns. Und wir vermeiden es selbst, Fremden zu nahe zu kommen. Würden wir also öfter unserer inneren Abstandsmessung vertrauen, wären Tröpfcheninfektion und Kontaktübertragung kein Thema.

Ad „Corona-Ampel“

Anfang September wurde in Österreich ein Ampel-System eingeführt, das auf Ebene politischer Bezirke die Gefahren einer Ansteckung zeigen soll. Gekoppelt an die jeweilige Ampelfarbe (grün, gelb, orange, rot) wurden Regeln erarbeitet, die vor Ort zwingend umzusetzen sind. Mittlerweile hat sich die Corona-Ampel der Regierung als Fehlwurf erwiesen, der statt Klarheit eher Verwirrung stiftet. Und zwar so viel, dass eine Aufzählung den Platz dafür sprengen würde. Daher mehr dazu unter:

Ad „Rückkehr der Expert*innen-Regierung“

Anspielung auf die Expert*innen Regierung vor Angelobung der aktuellen. Zu Leadership (Führung) allgemein und zum Versagen der Politik in der Bewältigung der Corona-Krise (taz FUTURZWEI, 14/2020: „Buntbarsche folgen Basta-Leadern nicht“):
„… In Gesellschaften, in denen die Menschen durch freiheitliche Ordnungen und gute Bildungssysteme selbst denken können, braucht es Leadership, das die Vielfalt von Perspektiven und Fähigkeiten als Ressource versteht und zu koordinieren in der Lage ist. Das erfordert neue Rollenmodelle und neue Formen der Kommunikation, nach Möglichkeit herrschaftsfreie …“.
Im Umkehrschluss bedeutet das für mich, dass machtorientierte Alleingänge und dominantes Führungsverhalten in den seltensten Fällen zum gemeinschaftlichen Ziel führen. Und das lautet nun einmal, das Virus zu besiegen!

Hinweise

2. Welle = Gemeint ist ein neuerliches Aufflammen des Infektionsgeschehens, wie es zurzeit der Fall ist.

Werkvertrag = Auftrag zur Erbringung einer definierten Leistung (also eines Werkes) gegen Geld. Üblich z.B. in der IT-Branche oder in der Kultur.

Thinktanks = auch „Denkfabrik“ = Begriff für Expert*innen-Runden, die bei der Entwicklung von Strategien mitarbeiten.

FFP2-Masken = Gesichtsmasken, die auch die Träger*innen und nicht nur das Gegenüber vor einer Ansteckung schützen.

Ihr Feedback

Mit dem Beitrag einverstanden? Oder fehlt etwas bzw. stimmt etwas nicht? Dann geben Sie mir bitte ein Feedback über dasUnbehagen.at – Redaktionstool »