Gamechanger Fahrrad

Content-ID: 041|01 | Autor: Gerd | Stand: 4.3.2021

Gamechanger Fahrrad

Wenn der Bike-Boom Tatsachen schafft

box = nähere Details finden Sie in der Fakten-Kiste am Ende dieses Beitrags.

Es klingt komisch, ist aber so: Wohlstand und Status definieren sich zunehmend über das Fahrrad. Warum auch nicht? Immerhin werden die Bikes immer hochwertiger, teurer, technischer und dynamischer als noch vor einigen Jahren. Dazu bieten sie allen Bevölkerungsgruppen eine gehörige Portion Unabhängigkeit, Reichweite und, weil ja gerade Corona ist, Distanz zu anderen Menschen. Zudem ist Radfahren gesund und schadet nicht dem Klima. Wer also etwas auf sich hält, zeigt sich und sein bzw. ihr Fahrrad. Damit aber stoßen die Radler*innen direkt in eine Image-Domäne vor, die bisher dem Auto vorbehalten war. Kann das gut gehen? Was meinen Sie?

Fakt ist, dass seit längerem die Verkaufszahlen von Rädern durch die Decke gehen und ein Ende des Hypes, scheint nicht in Sicht zu sein. Wo aber werden all diese Räder künftig geparkt, geladen, gewartet und unterwegs sein? Wenn sich nichts ändert, könnte es schnell eng werden auf Österreichs Straßen bzw. Rad- und Gehwegen. Das war für mich Grund genug, bei der ersten Rennrad-Ausfahrt Markus nach seiner Meinung zur Zukunft des Radverkehrs in Salzburg auszuquetschen. Markus ist sowohl Alltags-Radler als auch sportlich mit dem Bike unterwegs. Er analysiert schon viele Jahre die Verkehrspolitik in der Stadt und im Land Salzburg. Dabei gönnt er sich einen eher gesamtheitlichen Blick auf die lokale Verkehrssituation. Deshalb geht es für ihn auch um die Frage, wie ein Nebeneinander aller Anspruchsgruppen im öffentlichen Raum funktionieren kann. Laut Markus schafft der Fahrrad-Boom durchaus Herausforderungen, die einige Verkehrsplaner*innen so bisher nicht auf dem Schirm hatten.

Eine Frage der Infrastruktur

Einerseits ist die Gruppe der Radler*innen mittlerweile derart angewachsen, dass sie ganz regulär Ansprüche auf einen eigenen Verkehrsraum geltend macht. Dabei geht es nicht nur um die Entflechtung mit dem Auto- und Öffi-Verkehr. Angesichts zunehmender Dichte, wachsender Geschwindigkeit und rücksichtlosem Verhalten auf vielen Radstrecken sind vor allem die Fußgänger*innen zu schützen. Daher sind nach Meinung vieler Expert*innen künftig auch Rad- und Fußwege voneinander zu trennen. Andererseits umfasst eine radtaugliche Infrastruktur nicht nur ein schmuckes Wegenetz. Es geht auch um die Ausgestaltung der Infrastruktur für den Ziel- und den Quellverkehr. Dazu gehört, neben E-Lade- und Service-Stationen, vor allem der geschützte Abstellplatz. Immerhin sind Räder heute in der Anschaffung und laufenden Erhaltung mehr Investitions- denn Konsumgut. Damit aber wird der Anspruch, auch künftig mit dem Rad immer von „Tür zu Tür“ zu gelangen, mangels Stellplatz mehr Wunsch als Wirklichkeit. Markus beispielsweise würde, ohne mit der Wimper zu zucken, einen Teil der für Autos gewidmeten Standfläche für Rad-Abstellplätze nutzen. Das ergibt deshalb Sinn, da über kurz oder lang Innenstädte ohnehin autofrei werden und damit Verkehrsfläche verfügbar wird.

Diesem Szenario steht jedoch die leidige Erfahrung gegenüber, dass Räder im Freien übermäßig oft beschädigt oder gestohlen würden. Die freiwerdende Fläche jedoch baulich zu adaptieren, widerspräche dem Wunsch nach weniger Barrieren im öffentlichen Raum. Die Idee, bestehende Auto-Garagen in den Innenstädten jetzt zu Rad-Räumen umzufunktionieren, gewinnt für Markus unter diesem Aspekt zusätzlich an Charme. Zum einen, weil bei anhaltendem Boom Radfahrer*innen zumindest im Sommer durch die FUZOs im Stadtzentrum ihr Rad ohnehin schieben müssten. Oder weil sie es stattdessen nahe der Innenstadt abstellen wollen. Zum anderen, weil auch die Bewohner*innen und die Beschäftigten der Innenstädte sichere Abstellräume brauchen. Sollte daher die aktuelle Salzburger Stadtregierung tatsächlich ohne Not eine weitere Garage in den Mönchsberg sprengen wollen, dann bitte nur für Fahrräder, Lade- und Service-Stationen und ergänzende Dienstleistungen. Dazu drängt sich für Markus ein Verleih von Fahr- und Lastenrädern ebenso auf wie ein Hol- und Bringservice für gekaufte Waren oder das Feilbieten touristischer Angebote. „Bike & Hike“, also Radfahren und Wandern, scheint die ebenso logische wie spannende Antwort auf ein „Zuviel“ an Verkehr (jedweder Art) in den Innenstädten und Tourismuszentren zu sein.

„Sowohl als auch“ ist die Lösung

Auch Sybille findet Gefallen an diesen Ideen. Sybille ist eine sportliche Radlerin, die sich bei unserer Rast im Abstand eines Teenie-Elefanten dazugesellt und gleich in die Diskussion eingeklinkt hat. Sie scheint es als ehemalige Rad-Pionierin in Wien zu genießen, dass Corona den ewigen Forderungen der Aktivist*innen endlich den verdienten Schub gegeben hat. An dieser Stelle sei ein Dank an alle unentwegten Leute gerichtet, die sich schon vor dem aktuellen Hype für eine Aufwertung des Rad-Verkehrs stark gemacht hatten. Egal ob in Lobby-Gruppierungen, als spontane Aktivist*innen oder einfach nur als Allwetter-Rad-Enthusiast*innen: Danke! Jetzt zehren die Politik und die Wirtschaft von deren Beharrlichkeit und den längst fertigen Konzepten für Radweg-Netze, Mobilitätsförderungenbox und einer Neuordnung des öffentlichen Raums. Dadurch, und durch das anhaltende Verkaufshoch von klassischen und elektrisch unterstützten Neurädern, ist das Fahrrad als vierte Macht im öffentlichen Raum endgültig etabliert.

Dabei betont Sybille jedoch, dass wir hier über ein „sowohl als auch“ und nie über ein „entweder oder“ reden sollten. Es werden alle zivilen Fortbewegungsarten (Anm.: Gehen, Radeln, Öffis und das Auto) mittelfristig Teil des mobilen Alltags bleiben. Nur halt nicht alles an jedem Ort, mit uneingeschränkten Rechten versehen und zu jeder Zeit. Deshalb braucht es auch fallweise zusätzliche Ressourcen und nicht nur eine Verdrängung. Beispielsweise ersetzt, bedingt durch Corona, das Fahrrad aktuell das Öffi, jedoch (noch) nicht den eigenen PKW. Trotzdem braucht es sowohl Infrastruktur für den Rad-, als auch für den öffentlichen Verkehr. Deshalb wird es künftig wechselnde Lösungen für Sommer und Winter, je nach Nutzungsgrad des Verkehrsmittels, geben (müssen). Aber auch neue Regelungen, innovativ kombinierte Mobilitätsvarianten und ein Abtauchen von Verkehrsmitteln unter die Erde werden helfen, die Mobilitätsströme der Zukunft zu entflechten.

An diesem Punkt zeigt Martin ein extrabreites Grinsen: Langfristig wird das Rad sogar die gesellschaftliche Dominanz des Autos infrage stellen. Immerhin: Die ganze Familie, nicht nur der Papi, kann ein geiles Rad besitzen. Und das will gezeigt und bewegt werden. Es nur aus einem teuren Auto zu heben, wirkt schlichtweg uncool. Es ist, so wie bei vielen Dingen des Lebens, auch das Image, das Menschen zu einem Umdenken bewegt. Sehen und gesehen werden, vorne dabei sein und obenauf im Mainstream schwimmen sind die Anreize unserer Gesellschaft. Das wird auch die hartnäckigsten Gegner*innen einer gleichberechtigten Wiederansiedlung des Fahrrads im öffentlichen Raum umstimmen. Martin hat dazu eine lustige Anekdote vom „anderen“ Opa mit dem fetten Diesel und dem selbstbewussten Enkerl mit dem Laufrad parat. So wie in wohl jeder Familie, verschieben sich auch in seiner unaufhaltsam die Wahrnehmung von Wohlstand und Status. Gut so, meint Martin. Jetzt gilt es nur mehr, die unzähligen Räder in Österreich auch in Bewegung zu halten, den öffentlichen Raum zu übernehmen und die Politik zu überzeugen, (noch) mehr in diese Art der Mobilität zu investieren.

Salzburg, 03|2021 – Gerd

box) = Fakten-Kiste
Rad-Förderungen im Visier

In Österreich werden auch seitens der öffentlichen Hand Förderungen für den Radverkehr vergeben. Sei es für den Ausbau von Radwegen und Transferrouten (zwischen Ortschaften). Das gilt auch für die Anschaffung von E-Bikes durch Privatpersonen bzw. als Diensträder in Unternehmen. Wer wirklich möchte, dem steht nichts im Wege, sich künftig günstig mit dem Bike mobil zu halten.

Dass mehr öffentliches Investment in den Rad-Verkehr auch dringend notwendig ist, zeigen nicht nur steigende Zahlen bei den Rad-Verkäufen (insbesondere von E-Bikes). Auch eine Studie des VCÖ (Verkehrsclub Österreich) legt es nahe, „aktive Mobilität“ mehr in den Vordergrund zu rücken. Dazu muss jedoch auch der entsprechende Raum geschaffen werden, in dem sich Fußgänger und Radfahrer bewegen sollen.

 

Hinweise

In der Stadt Salzburg wird im Rahmen einer Radverkehrsstrategie 2025+ die Infrastruktur für Radfahrer*innen kontinuierlich ausgebaut. Von einem Gesamt-Verkehrskonzept ist man jedoch leider noch weit entfernt. So sind (entgegen dem internationalen Trend zu autofreien Innenstädten) zusätzlich Stellplätze für Autos in der Innenstadt geplant. Deshalb ist der Vorschlag von Markus, die neue Mönchsberggarage, sofern sie gebaut wird, dem Radverkehr zu widmen nicht nur ironisch, sondern sehr ernst gemeint.

Die Namen von Markus und Sybille wurden aus Datenschutzgründen verändert.

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