
Content-ID: 021|01 | Autor: Gerd | Stand: 24.09.2020
Kasnock’n Entwöhnung
Post ins touristische Bergland
Schon der berühmte Arzt Theophrastus Bombast von Hohenheim, vulgo Paracelsus, war im 15. Jahrhundert der Ansicht, dass erst die Dosis, also die verabreichte Menge, einen Stoff zum Gift macht. Egal ist dabei, ob es sich tatsächlich um hochgiftige Essenzen oder schlichtweg um Kasnock‘n handelt. Zu viel ist zu viel! Zwar wird man bei den Klassikern alpiner Kochkunst nicht tot vom Sessel fallen. Fadesse, Frustration und Lustlosigkeit stellen sich jedoch unweigerlich ein, wenn sie einem tagtäglich vorgesetzt werden.
Dabei wäre es so einfach, auch uns Vegetarier kulinarisch zu begeistern und als Stammgäste zu gewinnen. Immerhin sind jene Menschen, die (fallweise) auf Fleisch verzichten, eine wachsende Zielgruppe. Also Konsument*innen, die vorrangig mit Qualität und Kreativität zu begeistern sind. Dazu braucht es aber in den Hotels, den Gasthöfen und auf den Schihütten in den Alpen das Bewusstsein, dass Gerichte mit und ohne Fleisch auf der Speisekarte gleichwertig zu behandeln sind. Trotzdem frage ich mich, ob es die hiesigen Gastronomie schaffen wird, den Trend zu bewusst vegetarischer Ernährung zu nutzen?
Offener Brief
an alle Verantwortlichen im Tourismus, in der Gastronomie / Hotellerie und an ihre Gäste
Liebe Genuss-Anbieter*innen, liebe Genießer*innen
Ich bin Vegetarier und ich liebe Kasnock’n. Auch Kaspressknödel oder Kaiserschmarrn gehören zu meinen Favoriten. Sich so ein bis zwei Mal im Monat einen dieser heimischen Veggie-Klassiker zu gönnen, hat schon was. Aber jeden Tag, das wird selbst mir zu viel. Leider aber ist mir bei meinem letzten Kurzurlaub innergebirg genau das widerfahren.
Ob im Hotel, in Gasthäusern oder auf Berghütten, das vegetarische Angebot der Betriebe umfasste genau diese drei Klassiker plus eine Handvoll Alternativen. Das führte relativ rasch zum Gefühl, als Vegetarier nicht wirklich willkommen zu sein. Dabei wäre es so einfach, mich und andere Leute mit Gusto auf fleischlose Gerichte zufriedenzustellen. Es bräuchte lediglich etwas guten Willen, handwerkliches Geschick und Fantasie. Damit hätten Sie auch mich kulinarisch überzeugt.
Das große Missverständnis
Selbst heute noch wird im alpinen Österreich die vegetarische Küche in ihrer gesamten Vielfalt nicht wahrgenommen. Der traditionelle Speisezettel stützt sich innergebirg nun einmal auf die großen Vier: Schnitzel, Braten, Laibchen und Wurst. Wer das ohne Fleisch möchte, bekommt aus Ersatzstoffen, wie Tofu oder Pilzen, daher meist Schnitzel, Laibchen, Braten oder Wurst nachgebaut. Die wohl einzigen Kompromisse, die dazu auf den Veggie-Seiten in der Gastronomie zu finden sind, sind die drei „Ks“: Kasnock’n, Kaspressknödel und Kaiserschmarrn. Und haben die Gäste davon genug, und das geschieht garantiert im Laufe einer Urlaubswoche, bleiben immer noch die Beilagen.
Dabei bietet die fleischlose Küche ein unermesslich weites Spielfeld für kreative Gastronom*innen. Vegetarische Kochkunst ist heute längst nicht mehr an die Speiseformate der Traditionsküche gebunden. Vielmehr bestimmen der Eigengeschmack und die Qualität der Produkte die Art der Zubereitung. Allein durch die Zahl regionaler Obst-, Gemüse- und Kräutersorten ergibt sich ein extremes Potenzial an grundverschiedenen Rezepturen. Frisch zubereitet, nur kurz gegart oder gebraten und geschmacklich unverfälscht, bietet die mediterrane Küche die wohl bekannteste Alternative zu Fleisch. Mit Zutaten aus heimischer Produktion lassen sich nicht weniger kreative, einfache und doch hochwertige Speisen zaubern. Liebe Köchinnen und Köche: Wenn Sie statt nur viel, mehr Vielfalt auf der Speisekarte haben möchten, bietet „Veggie“ die machbarste und lohnendste Ergänzung zum traditionellen Angebot.
Pflanzliche Kostenrechnung
Sie sollten sich (endlich) dazu entschließen, Vegetarisches nicht als notwendiges Übel in den Speiseplan zu übernehmen, sondern als gleichwertige Ergänzung zum Schweinebraten. Sie werden garantiert davon profitieren. Verzichten Sie ruhig auf separate „Veggie“-Rubriken in Ihrer Speisekarte und mischen Sie zwei, drei fleischlose Highlights unter die (saisonalen) Spezialitäten des Hauses. Beschreiben Sie diese Gerichte genauso liebevoll, wie Sie es für den Tafelspitz oder das Rehragout tun. Bieten Sie dem Gast die Möglichkeit, gebratene oder geröstete vegetarische Bestandteile gleichwertig durch Fisch oder Fleisch zu ersetzen. Das wirkt professioneller als, wie bislang üblich, Fleischgerichte durch Weglassen des Fleisches auf vegetarisch zu reduzieren. Und nutzen Sie vegetarische „Zaubermittel“ wie Gewürze, Kräuter oder Öle, um Neugierde und Nachfrage zu erzeugen.
Für die Küchenlogistik bleibt die Erweiterung des Repertoires um fleischlose Angebote sehr überschaubar. Vegetarische Gerichte sind lange im Voraus zu planen. Pflanzliche Zutaten sind „in time“, also direkt zur Verarbeitung, frisch lieferbar. Und sie müssen in den seltensten Fällen als Convenience-Ware bezogen werden – auch saisonbedingt! Sie sind leicht zu bearbeiten, erfordern weniger Gar-Zeiten und sind fast unendlich kombinierbar. Zudem liegt im Vergleich der Einstandspreise jener hochwertigen regionalen Gemüses weit unter jenem von (hoffentlich) regional bezogenem Fleisch. In puncto Gewinnspanne bleibt es Ihnen überlassen, ob Sie die geringere Marge durch kreative Speiseformate oder durch begleitende Angebote ausgleichen. In der Kalkulation von Halb-Pensions-Speisekarten sollte „Veggie“ allemal die Nase vorne haben.
Sie sind als Expert*in gefragt!
Natürlich werden Sie nicht aus dem Stand zur Veggie-Ikone in Ihrer Region werden. Auch dafür braucht es, wie in allen Fragen rund um Angebot und Nachfrage, Zeit und Ausdauer. Das Segment aber, das Sie für sich und Ihr Unternehmen erschließen können, ist den Versuch wert. Die Zahl jener Menschen, die (zumindest fallweise) auf fleischliche Kost verzichten, wächst rasant an. Die Gründe dafür sind vielfältig und spielen Ihnen als Unternehmer*in direkt in die Hand. Sie reichen vom Wunsch nach einer gesünderen, vielfältigeren Ernährung bis zum Beitrag, der durch den Verzicht auf Fleisch für das Klima geleistet werden kann. Wichtig für Sie ist dabei, dass neue Ernährungstrends nicht nur neue Anforderungen, sondern auch Chancen mit sich bringen.
Stellen Sie sich Ihrer neuen Rolle als Expert*in für zeitgemäße Ernährung mit, aber auch ohne Fleisch. Erschließen Sie für Ihre Gäste die kreative Welt vegetarischen Genusses ergänzend zu Kasnock’n und Kaiserschmarrn. Wecken Sie das persönliche Interesse an fleischloser Kost und seien Sie ein Ort für erste vegetarische Gehversuche. Geben Sie Ihren Gästen eine „g’schmackige“ Idee von „hochwertig veggie“ mit auf den Heimweg. Ihre Gäste werden es Ihnen danken und Ihren Betrieb zu Hause zum Gesprächsthema machen. Egal ob Sie als Hotel, als Restaurant oder als Schihütte mit ausgewählten vegetarischen Überraschungen punkten können: Gut gemacht, wird es Ihnen zum Vorteil gereichen!
Ich hoffe, meinen nächsten Ausflug in Österreichs Gebirgsregionen erstmals auch als vegetarische Erlebnisreise genießen zu können. Es braucht nicht viel: nur Qualität und Abwechslung. In diesem Sinne freue ich mich schon auf Sie und Ihre vegetarischen Visionen.
Mit freundlichen Grüßen
Gerd
Salzburg, 2020/09
PS: Konkrete Ideen für Praktiker*innen
Sieben Anregungen eines Gastes, wie man (abseits von Kasnock’n & Co) fleischlose Gerichte spannend und gleichwertig in den Speiseplan von Hotels bzw. auf der Karte von Restaurants und Hütten integrieren kann.
Die gute alte Suppe
Bieten Sie Einlagen wie Frittaten, Schöberl oder Kasnock’n für Fleisch- UND Gemüsebrühe an. Erweitern Sie Ihr Angebot um Cremesuppen (frisch, nicht aus der Packung). Überaschen Sie mit sättigenden Einlagen wie Wurzelgemüse, gerösteten Kernen, Croutons, Mini-Knödeln u.v.m. Reichen Sie gerne auch einmal Brot, Grissini etc. dazu.
Öle als Geschmacksbomben
Egal ob Risotto oder Nudelgericht, geben Sie mit hochwertigen Ölen aus Oliven, Walnüssen, Steinpilzen, Bärlauch, Chili etc. beim Servieren den Schuss Extra-Geschmack mit auf den Teller. Aber auch mit Spritzern von Pesto oder Balsamico und mit geriebenem Käse (nicht nur Parmesan!) werten Sie einfache Gerichte enorm auf.
Teig darunter oder rundherum
Bringen Sie öfter wieder einen Strudel ins Spiel. Auch pikant lassen sich hochwertige Zutaten in „gerolltem Zustand“ spannend anrichten. Und wieder können Sie mit Käse in der Füllmasse oder im begleitenden Dip einen Extra-Punkt setzen. Aber auch Quiches und Hefeteigböden bieten eine perfekte Unterlage für Gemüse, Käse, Pesto, Kräuter u.v.m.
Getränke mit einplanen
Versuchen Sie einmal ein Gericht passend zu einem speziellen Bier (und nicht umgekehrt) anzubieten. Dazu eigenen sich Burger-Variationen, Eintöpfe und Aufläufe ganz besonders. Aber auch Speise-Begleitungen zu verschiedenen Weinen oder antialkoholischen Getränken machen Lust aufs Ausprobieren.
Werten Sie die Beilage auf
Machen Sie das vegetarische Grundgericht zum Star. Entwerfen Sie ein Risotto, ein Pasta-Gericht oder Gemüsevariationen, die Sie nur vegetarisch, mit Fisch oder mit Fleisch anbieten. Warum nicht ein schmackhaftes Kürbis-Risotto, das Sie wahlweise mit frittierten Kürbisstreifen oder mit einem Saiblings- bzw. Rindsfilet servieren?
Nennen Sie es Testessen
Bieten Sie Ihren Gästen kreative vegetarische Speiseproben als Einstieg in eine neue kulinarische Welt. Erläutern Sie die Rezepte und erzählen Sie von der Zubereitung. Wecken sie die Neugierde auf ein Menü ohne Kasnock’n & Co.
Kochen Sie immer frisch und saisonal
Vor allem aber haben Sie keine Angst vor der Wintersaison. Die heimische Land- und Hofwirtschaft weiß auch im Jänner, womit Sie in Ihrer Frischeküche punkten können!
Fortsetzung folgt | to be continued
Hinweise
innergebirg = umgangssprachlich für alpine Täler und ihre Bewohner*innen
Veggie = Kurzwort für vegetarisches Essen (fleischlos)
Neben Vegetarier*innen gibt es noch Veganer*innen (ohne jegliche tierische Stoffe, auch nicht Ei oder Käse), Frutarier*innen (nur Pflanzliches, das ohne Beschädigung der Pflanze zu bekommen ist) und Pescetarier*innen (Vegetarisches plus Fisch).
Convenience (Ware) = englisch für Bequemlichkeit, gemeint sind Fertig- und Tiefkühl-Produkte, die für die Gastronomie in großen Mengen vorbereitet werden – z.B. Suppenpulver, Tiefkühlspinat, Fertig-Saucen, etc.
Gewinnspanne / Marge = Jener Betrag in der Preiskalkulation, der den Unternehmer*innen nach Abzug aller Kosten übgrig bleibt.
Link- und Lesetipps
Gedruckt:
Heute lieber kein Fleisch | Österreichs beste vegetarische Rezepte | Ingrid Pernkopf, Renate Wagner-Wittula | Pichler-Verlag
Österreich vegetarisch | Katharina Seiser, Meinrad Neunkirchner, Thomas Apolt | Brandstätter Verlag
Links:
Kochtipps: https://www.simply-yummy.de/kochen/vegetarische-gerichte »
Kochplaner: https://www.umweltberatung.at/rezepte-der-saison-kochen-mit-genuss »
Auch für Großküchen: https://proveg.com/de/ernaehrung/vegane-rezepte/ »
Blog: https://www.veggies.de/ »
Blog: https://eatsmarter.de/ernaehrung/news/weltvegetariertag-8-vegetarische-vegane-blogs »
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