Erster Weltkrieg

KOMMENTAR | Content-ID: 154|01 | Autor: Gerd | Stand: 8.8.2024
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History Repeating Itself

Krieg ist kein Schauspiel!

Es hat tatsächlich ein Stückchen Weltliteratur zum Ersten Weltkrieg gebraucht, um mich wieder an meine pazifistischen Grundwerte zu erinnern. So geschehen bei den Salzburger Festspielen 2024. Auf dem Programm stand Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“ als kriegsgeiles Sittenbild einer empathiebefreiten Gesellschaft rund um 1918. Darin wird die emotionale Dekadenz und Nationalzentriertheit der Völker schonungslos vor den Vorhang geholt, die Krieg als probates Mittel für Identität und Wohlstand missverstehen. Auch wenn Karl Kraus die Bürger*innen damals als Mitschuldige am großen Sterben an der Front entlarvte – es hat sich an diesem Befund bis heute nichts geändert. So hätte die Wucht des Vortrages von Erwin Steinhauer, tief verwurzelt in den musikalisch fein gezeichneten Bildern des Begleitensembles, im Publikum durchaus für etwas zeitgeistige Selbsterkenntnis sorgen können. Bemerkt aber habe ich davon wenig.

Es stimmt schon: Woher sollte ich wissen, wer aus dem Publikum was aus dieser Vorstellung mit nach Hause genommen hat? Ich kann mich lediglich auf die Wortmeldungen stützen, die ich auf dem langen Weg vom Saal zum Ausgang und danach beim nahe gelegenen Wirt aufgeschnappt habe. Da standen die Leistung Erwin Steinhauers und eine historische Aufarbeitung der Zeit um den Ersten Weltkrieg zur Debatte. Dass die Darbietung aller auf der Bühne grandios gewesen war, war schnell herausgefunden. Auch dass die Zeit vor rund 100 Jahren eine schwierige war, die in einem Krieg mit 17 Millionen Opfern und unendlich viel Leid auf beiden Seiten der Front regelrecht gipfeln musste, schien rasch geklärt. Warum aber „gipfeln musste“ und warum sich derartige Dramen wider besseres Wissen noch immer irgendwo auf dieser Welt wiederholen, blieb in diesen Gesprächen unerwähnt. Auch dass wir uns heute als Bürger*innen einer globalisierten Welt durch Wegschauen und mangelnde Initiative ähnlich schuldhaft verhalten wie die Leute damals, wurde in nur wenigen Gesprächsrunden erwähnt.

Dazu drängt es mich, Alfred Fried aus dem Jahr 1920 zitieren, der das Stück wie folgt beschrieb (siehe Linktipp): „Wir haben den Krieg bislang zu sehr von der Vorderseite aus gesehen. An die Kulisse haben die wenigsten gedacht. Hier wird sie uns in erschreckender Plastik zum ersten Mal gezeigt. Was wir bisher von dem Elend gesehen, den Mord und die Vernichtung, ist noch nicht der Krieg in seinem ganzen Umfang gewesen. Die zerfetzten Leiber, die im Drahtverhau zappelnden Verwundeten, die Leiden des Schützengrabens, die brennenden Dörfer und Städte, die geplünderten Heimstätten, die entehrten Frauen, die versklavten Männer sind Erscheinungen der Vorderseite jener angeblich gottgewollten Einrichtung. Kraus wendet unsern Blick erbarmungslos zu den noch größeren Gräueln der Rückseite. Er lässt uns einen Einblick tun in jenes Getriebe, aus dem das Gift herausgewachsen ist, und zeigt uns, wie dieses belebend auf die Mikroben der Fäulniserregung einwirkt. Er zeigt uns, wie der aufgewirbelte Schlamm sich an der Sonne lieblich färbt, der Eiter in Gold erglänzt, der Kot sich als Edelstein gibt. Man fasst sich bei der Lektüre dieses Werkes an den Kopf und sagt sich kleinlaut: Wir haben bisher falsch gesehen, unsere Anschauung vom Krieg war Irrtum; Dieser hat erst das Land des Krieges entdeckt, an dessen Küsten wir bislang herumirrten. Dieser lehrt uns sehen. In Karl Kraus’, des Wieners, ‚Letzte Tage der Menschheit‘ sehen wir den Krieg zum ersten Mal von allen Seiten.

Was also veranlasst uns dazu, Mahnendes aus der Geschichte heute nicht anerkennen zu wollen? Ist es der „Jedermann-Effekt“ der Salzburger Festspiele, wo nach jeder Aufführung 2.000 Klone des Titelhelden zwar enthusiastisch applaudieren, jedoch die Botschaft des Stückes niemals auf sich selbst beziehen? Oder liegt es daran, dass das 1918 von Karl Kraus längst vorbei und geschichtlich abgehakt scheint? Dass die Kriegsherde der Gegenwart derart weit weg sind, dass wir geopolitische Wirkungsketten und gesellschaftliche Vernetzung ausblenden? Solange die Kinder anderer Eltern sterben und niemand Hand an unseren Wohlstand legt, sind wir ja auch nicht wirklich betroffen, oder? Vielleicht aber glauben wir nur, dass – solange Kräfte an der Macht sind, die auf ewig an der Eskalationsspirale drehen können – Kriege keine Zeit hätten, sich abseits der Ukraine (!) oder des Nahen Ostens (!) zu entzünden.

Ich glaube deshalb, dass es an der Zeit ist, Führungspersonal an die Macht zu bringen, das dauerhaften Frieden will und nicht nur irgendwann einen Krieg gewinnen.

Diese Grundhaltung, ich nenne sie pazifistisch, wohl wissend, dass ich dafür noch einiges an mir ändern müsste, habe ich übrigens von meiner Mutter gelehrt und vorgelebt bekommen. Danke dafür! Sie ist der Grund, warum ich nach dem x-ten Applaus für die Künstler*innen noch etwas länger durchatmen und mir ehrliche Tränen aus den Augenwinkeln wischen musste. Krieg ist nun einmal Scheiße und Politiker*innen, die nicht willens oder in der Lage sind, ihn zu beenden oder zu verhindern, sind fehl am Platz.

Salzburg, 8|2024 – Gerd

Linktipp

Die letzen Tage der Menschheit: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_letzten_Tage_der_Menschheit »

 

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