Geschichte Pimpen

Content-ID: 094|01 | Autor: Gerd | Stand: 16.6.2022

Die Geschichte pimpen

Die Ukraine auf den Stand 2/2014 bringen

Jetzt ist die Katze aus dem Sack – endlich! Nach 112 Tagen Krieg in der Ukraine packt Präsident Selenskij den russischen Stier bei den Hörnern und gibt neue Ziele aus. Nicht mehr nur die neuesten Angriffe abwehren und die Uhr 4 Monate zurückdrehen. Jetzt scheint die Zeit günstig zu sein, 8 Jahre Geschichte zu korrigieren. Zumindest die Krim soll nach der russischen Annexion 2014 wieder ukrainisch werden. Wenn all das stimmt, was die westlichen Partner-Länder an militärischer Unterstützung zugesagt haben, sollte die Ukraine demnächst über ausreichend Waffen verfügen, endlich in die Offensive zu gehen. Das muss sie auch, denn ohne Abtretung der annektierten Gebiete an Russland oder deren Rückeroberung wäre ein EU-Beitritt nur schwer vorstellbar. Aber spielen da auch die EU und die NATO mit?

Reisen wir doch zurück ins Jahr 2014, in jene Zeit, in der russische Separatist*innen die Krim übernommen und Teile der Ostukraine besetzt haben. Damals hieß der Präsident der Ukraine noch nicht Selenskij, sondern (nach einer Übergangsregierung) Poroschenko. Der hatte sich mit russland-freundlichen Separatist*innen, jedoch nicht direkt mit der russischen Armee auseinanderzusetzen. Die Übernahme der Gebiete in den russischen Einfluss erfolgte damals durch (gefakte) Volksabstimmungen. Die bewaffnete Auseinandersetzung wurde als Bürgerkrieg, jedoch nicht als internationaler Kriegsfall eingestuft. Die Unabhängigkeit der besetzten Gebiete bzw. deren Anschluss an Russland wurde jedoch seither weder von der EU noch den USA anerkannt. Damit sind die Ostukraine und die Krim auch heute noch völkerrechtlich ukrainisches Staatsgebiet. Sie sind damit auch Teil jeglicher Verhandlungen in diesem Konflikt. Egal ob zwischen der Ukraine und Russland oder im Rahmen eines EU- bzw. NATO-Beitrittes. Wenn die Ukraine heute, also 2022, die besetzten Gebiete nicht an Russland abtritt bzw. unabhängige Gebiete werden lässt, muss sie sie rasch zurückerobern. Denn dass ein Land EU-Mitglied wird, durch das sich eine aktive Frontline zieht, scheint ausgeschlossen.

Jetzt lässt sich auch das Zögern des deutschen Kanzlers Scholz bei Waffenlieferungen neu deuten. Immerhin würden die Rückholung und Absicherung der russisch besetzten Gebiete lange Zeit und/oder blutigere Kämpfe erfordern als allgemein akzeptiert. Damit aber erscheint auch die riesige Waffenbestellung der Ukraine bei den westlichen Partner-Ländern in einem ganz neuen Licht. Jetzt geht es nicht mehr um eine Handvoll Geschütze und Luftabwehrsysteme zur Verteidigung einzelner Frontabschnitte. Aktuell stehen 1.000 Haubitzen, 500 Panzer und anderes schweres Gerät auf dem Wunschzettel Selenskijs. Das wiederum stürzt all jene politischen Kräfte in Europa ins Dilemma, die sich vor laufenden Kameras dazu verpflichtet haben, der Ukraine bis zum finalen Sieg über Russland beizustehen. Koste es, was es wolle. Dass dabei nicht die Grenzziehung vor dem Einmarsch russischer Truppen im Februar 2022 gemeint sein kann, wird vielen wahrscheinlich jetzt erst klar werden. Doch wie wird Russlands Präsident Putin darauf reagieren? Immerhin hatte Russland 2014 die gefakten Volksentscheide in der Krim und in der Ostukraine offiziell anerkannt und sieht sich nun in der Beistandspflicht gegenüber ausländischen Aggressoren. Nicht dass die Ukraine mit der EU und der NATO im Schlepptau solche wären. Das ist sogar uns Beobachter*innen der Szene sonnenklar. Behaupten wird er es trotzdem, der Herr Putin, und hätte damit endlich seine direkte Konfrontation mit dem Westen.

Deshalb lassen auch die hektischen Manöver jener Staaten, die sich mit Beistandszusagen für die Ukraine bisher weit hinausgelehnt haben, plötzlich neue Schlüsse zu. So weisen die USA darauf hin, es hätte laut Geheimdiensten viele Warnungen und damit reichlich Zeit für bessere Vorbereitungen gegeben. Es wird aber auch gemunkelt, dass die EU keine aktive Frontlinie durch Europa duldet und daher die Ukraine dazu bewogen werden soll, verlorenes Terrain einfach abzugeben. Praktisch im Gegenzug für die Chance auf einen Beitritt in die Union. Zudem scheinen sich kaum Länder zu finden, die bereit sind, die Ukraine abgesehen von Waffen-Almosen tatsächlich massiv aufzurüsten. Weder finanziell noch diplomatisch im Hinblick auf eine Provokation Russlands reicht scheinbar der Mumm jener Länder, die dazu überhaupt in der Lage wären. Oder können Sie sich vorstellen, dass ein Gutteil der 100 Mrd. Vermögen der deutschen Bundeswehr gleich direkt an die ukrainische Front verlagert würde? Bleibt uns nur, mit Spannung darauf zu warten, was sich tatsächlich hinter der grimmigen Ansage von Präsident Selenskij verbirgt, die Krim heimholen zu wollen. Entweder ein international unterstützter High-Tech Blitzkrieg des Westens gegen Russland, von dem wir noch nichts wissen. Oder ein ewig langes Gezerre um regionale Vormachtstellung, das der EU und der NATO die Gelegenheit gibt, sich heimlich aus dem Kriegsgeschehen zu verabschieden. Oder gar der Bruch der Ukraine mit der westlichen Allianz, wenn die EU zumindest die Krim als territoriales Opfer für einen Beitritt fordert. Oder ganz etwas anderes? Was meinen Sie?

 

Salzburg, 6|2022 – Gerd