Demokratie 2024

KOMMENTAR | Content-ID: 140|01 | Autor: Gerd | Stand: 25.1.2024
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Selektive Demokratie

Wo der Rechtsstaat Schwäche zeigt

In unserem Lande und bei den Nachbar*innen, da leben zwei Schwestern. Zwei schöne und kraftvolle Mädchen, die so sehr miteinander verbandelt sind, dass eine ohne die andere nicht sein könnte. Es ist deren Bestimmung, aufeinander zu achten und zu kämpfen, wenn es der Schwester einmal nicht gut geht. Und das tun sie seit vielen, vielen Jahren. Mittlerweile aber sind sie müde geworden. Müde des Kampfes füreinander. Und der Versuche der Menschen, sie auseinander zu bringen, überdrüssig. So wie schon in der Vergangenheit so oft, scheint gerade wieder eine Zeit zu kommen, in der ihre Kraft schwindet. Zu sehr haben die Menschen die Freiräume, für die die Schwestern im Auftrag der Verfassung kämpfen, missbraucht, um sich selbst über andere Menschen zu erheben. Und zwar in allen Blasen politischer Gesinnung, auch wenn die Angriffe von rechts gerade besondere Wirkung zeigen. Ach ja: Die beiden Schwestern heißen übrigens „Demokratie“ und „Rechtsstaatlichkeit“. Und sie arbeiten zum Wohle aller Menschen.

Aktuell scheinen es politisch radikale Kräfte wieder einmal auf die „Rechtsstaatlichkeit“ abgesehen zu haben. Dabei soll erst das Wahlrecht zu einer Mehrheit in der politischen Landschaft führen. Dann werden Bürger*innen- und Menschenrechte ausgehebelt, um letztendlich Schwester „Demokratie“ zu unterwerfen. Den Rechtsstaat auszuhöhlen und aus dem Rechtsraum aller einen nur für erlesene Gruppen zu machen, bedeutet auch, die Gesinnungs-Gefährt*innen hierarchisch über die Allgemeinheit zu stellen. Das jedoch wäre das Ende, zumindest der liberalen Demokratie. Von „Remigration“ ist da die Rede. Und von Rache an demokratischen Kräften, die sich bisher dem Machtstreben und der Selbsterhöhung der rechten Szene entgegengestellt haben. Und davon, dass dieser Kampf keiner der Worte bleiben soll, sondern Existenzen fordern muss. Aber die „Demokratie“ wehrt sich. Sie geht in Begleitung von Millionen Bürger*innen auf die Straße und fordert die Gegner*innen selbstbewusst heraus. Und sie stärkt damit Schwester „Rechtsstaatlichkeit“, die jetzt offen mit der Aberkennung von Bürger*innen-Rechten und einem Verbot politischer Parteien kokettieren darf, sogar muss. So aktiviert sich nun einmal der Selbstschutzmechanismus unserer Gesellschaft. Und das ist beim gegenwärtigen Angriff von rechts außen auch gut so.

Allerdings schaffen die Schwestern damit auch Präzedenzfälle, mit denen sie ihre eigene Macht unterlaufen. Es ist beiden nämlich egal, aus welcher politischen Ecke antidemokratische Strömungen kommen und gegen geltendes Recht verstoßen. Oder zumindest demokratisches Recht infrage stellen, um der eigenen Gesinnung Vorteile zu verschaffen. Das mag sich aus der Feder eines demokratisch denkenden und solidarisch der Gemeinschaft verpflichtend fühlenden Menschen, wie ich es bin, krass lesen. Aber ich hätte mir gewünscht, dass Donald Trump bei jeder bisherigen Wahl geschlagen worden wäre, anstatt jetzt damit zu liebäugeln, ihn per Gesetz an der Teilnahme bei einer Wahl hindern zu wollen. Ebenso wie es eine selbstbewusste, demokratisch denkende Bevölkerung braucht, um die AfD an der Urne und nicht am Verfassungsgerichtshof zu schlagen oder die FPÖ per Gesetz einzuhegen. Dazu kommt, dass sich die intrinsisch gefühlte Empörung der Querdenker*innen (ich liebe dieses Gender-Wort ganz besonders), der Bauern und Bäuerinnen in Deutschland oder der Klimaaktivist*innen nicht voneinander unterscheiden. Zumindest wenn es darum geht, Widerstand demokratisch zuzulassen bzw. im Falle von Rechtsbruch zu ahnden.

Jetzt hat es sich in unserer über die Jahre satt gewordenen Gesellschaft durchgesetzt, dass sich einzelne über andere stellen und sich nichts dabei denken. Dass demokratische Grundwerte auf sich selbst bezogen, anderen jedoch abgesprochen werden. Oder dass die eigene Blase als das Gute und andere Meinung als das Böse, das Verhinderungswerte wahrgenommen werden. Sie glauben mir nicht? Dann lade ich Sie herzlich dazu ein, durch die Social Media-Blasen politischer Gesinnungsgruppen aller Couleur zu surfen. Sie werden staunen, mit welchem antidemokratischen Wording die Freund*innen selbst der demokratischsten Vereinigungen ihre Gegner*innen zu entrechten oder deren Anliegen zu verhindern suchen.

Beide Schwestern, die „Demokratie“ und die „Rechtsstaatlichkeit“ haben mittlerweile stark an Mitstreiter*innen in der Zivilgesellschaft eingebüßt. An Anerkenntnis der Allgemein-Gültigkeit gesellschaftlicher Regelwerke, die mehr und mehr zu eigenen Zwecken unterlaufen werden. Wie sonst erklären Sie sich, dass statt der zähneknirschenden Akzeptanz eines demokratisch gefällten Entscheides durch die Gegner*innen wehleidige Demonstrationen, Gegenklagen und Abwertungsversuche laufen? Wer beispielsweise den erzwungenen Bau eines S-Link in Salzburg über direkte Demokratie und Bürger*innen-Beteiligung stellt, hat die Schwäche von „Demokratie“ und „Rechtsstaatlichkeit“ schonungslos aufgedeckt. Diese Schwäche hat den sperrigen Namen „vordergründige Meinungsfreiheit zur Abwehr ungeliebter demokratischer Mehrheitsentscheide“ und entzieht den Schwestern zunehmend den Schaffensraum. Damit haben wir alle bereits gut leben gelernt, wenn es die eigene Ideologie fördern sollte. Zumindest bis jetzt, wo wir drauf bauen müssen, dass die demokratischen Kräfte in unseren Ländern wieder zusammenrücken und den Niedergang von „Demokratie“ und „Rechtsstaatlichkeit“ verhindern.

Salzburg, 1|2024 – Gerd Sendlhofer

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