Sommerquiz

KOMMENTAR | Content-ID: 151|01 | Autor: Gerd | Stand: 27.6.2024
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Das große Polit-Sommerquiz

Was wird Fakt, was bleibt offen?

Isch abe die letzen Jahre ziemlisch Scheiße gebaut. Dafür muss mein Volk büßen!“ Ungefähr so stelle ich mir einen ersten inneren Kommentar Emanuel Macrons nach seinem (persönlichen) Debakel bei den EU-Wahlen vor. Deshalb hat er, nachdem sein Plan, aktiv in den Ukrainekrieg einzusteigen, (vorerst) abgeurteilt wurde, Neuwahlen ausgerufen. Ganz egal, ob die irgendwer in Frankreich, in Europa oder im Rest der Welt braucht. „L’état, c’est moi“ – was für Ludwig XIV recht war, sollte für „Le Président“ nur billig sein. Klar, es gibt immer Expert*innen, die selbst in einem derart gewagten Manöver „eine geniale Taktik zur Rettung Europas“ vermuten. Ob’s wahr wird oder nicht, wird uns ohnehin die Geschichte zeigen. Beseelt von gefühlter Unfehlbarkeit musste Frankreichs Präsident wohl „all in“ gehen, um sich selbst treu zu bleiben. Die entscheidende Frage dabei ist nur: Wer möchte überhaupt, dass Monsieur Macron sich treu bleibt? So wie viele Leute, wohlgemerkt nicht nur Politiker*innen, mit aller Macht „ihr Ding“ durchziehen, um „sich treu zu bleiben“. Selbst wenn der Rest der Welt darauf lieber verzichten würde.

So stehen in Europa über den Sommer noch weitere spannende Entscheidungen an, die sich auch auf Österreich auswirken werden:

Wird Frankreichs Präsident Macron sein Hasardspiel mit den Neuwahlen Anfang Juli gewinnen? Ich tippe auf NEIN. Und wenn nein, wie wird er versuchen, sich aus der Sache herauszureden?

Wann werden die EU-Beitrittsgespräche mit der Ukraine erstmals eskalieren? Ich rechne damit, dass die EU eher über kurz als lang eine Gebietsabtretung an Russland als Aufnahmekriterium formulieren wird, sollte sich die Situation im Krisengebiet nicht rasch zugunsten der Ukraine drehen.

Geht Deutschlands Plan einer deutsch-deutschen Achse auf? Ich glaube JA. So wie es aktuell aussieht, wird Frau von der Leyen als Kommissionspräsidentin tatsächlich an der kurzen Leine Deutschlands in eine zweite Amtszeit geschickt.

Wird es Präsident Orban gelingen, die europäische Politik zu verwässern? Ich tippe auf 50:50. Immerhin hat mit Ungarn ein Land für die kommenden 6 Monate den EU-Ratsvorsitz, das mit den mit den meisten Ländern im Clinch liegt.

Dabei fällt auf, dass in kritischen Gemengelagen – wie jene, in der sich Europa und die Welt gerade befinden – Machtmenschen ihre Chance sehen, mit den abenteuerlichsten Plänen bei den Leuten durchzudringen. Allein wenn man die inhaltlichen Vorbereitungen der heimischen Parteien auf den bevorstehenden Nationalratswahlkampf verfolgt, lässt sich abschätzen, wie viele abenteuerliche G’schichteln uns noch gedrückt werden. Immerhin ist diese Wahl die letzte Chance für einige Parteien, die gerade vergeigten EU-Ambitionen noch über mehr Einfluss als Regierungspartei im EU-Rat zu retten. Erweitern wir also unser Sommerquiz auf die österreichische Parteienlandschaft.

Orakeln auf österreichisch

Wird die ÖVP nach den Wahlen wieder in der Regierung sitzen? Mein Tipp: JA. Nachdem (ohne die FPÖ) 2er-Koalitionen eher unwahrscheinlich sind, wird die ÖVP wohl mit der FPÖ zu zweit oder als Junior-Juniorpartner in einer 3er-Koalition weiter an den Hebeln der Macht bleiben.

Werden es die Grünen in die Regierung schaffen? Mein Tipp: NEIN. Da die Grünen voraussichtlich nur in einer 3er-Koalition mitregieren dürfen, werden sie dort höchstwahrscheinlich wieder auf die ÖVP treffen. Die wird sich gegen eine Beteiligung der Grünen sperren. Das heißt, die Grünen müssten die ÖVP schlagen, um in eine Regierung zu kommen.

Wird die FPÖ die Nationalratswahlen gewinnen? Mein Tipp (auch wenn es mir gar nicht gefällt): JA. Nicht weil es den Freiheitlichen gelingt, affine und unentschlossene Wähler*innen für populistische Ideen (neu) zu gewinnen. Sondern weil Österreich ein Land ist, in dem rechtes Gedankengut breit verankert überlebt hat. Mal verdeckt, mal ganz offen, wenn es die politische Grundstimmung im Lande erlaubt. Und jetzt scheint wieder einmal „Mr. Hyde Time“ für Österreichs dunkelgraue Volksseele zu sein.

Gelingt die Wiederauferstehung der SPÖ als Gestaltungsmacht in Österreich? Mein Tipp: NEIN. Dazu liefere ich keine Begründung, sondern lediglich den Hinweis, bitte die Öffentlichkeitsarbeit der Partei zu verfolgen. Also, geht’s noch?

Gibt es in Österreich eine Politik-Verdrossenheit? Meine Einschätzung: NEIN. Ich erlebe die Österreicher*innen als sehr politikinteressiert und auch bereit, mitzugestalten. Was jedoch auffällt, ist, dass sich die Erwartungen in das politische Personal im freien Fall befinden. Kein Wunder: Hören die Politiker*innen sich eigentlich selbst zu, wenn sie mit ihren Argumenten, Rechtfertigungen und Schlussfolgerungen an die Öffentlichkeit treten? Manchmal habe ich das Gefühl, einige aus den Führungsriegen der Parteien müssten noch gehörig wachsen, um mit den Wähler*innen wieder auf Augenhöhe kommunizieren zu können.

Sie sehen, über diesen Sommer stehen einige ganz spannende Entscheidungen an, die unser politisches und damit reales Leben in Österreich und Europa beeinflussen werden. Wenn Sie aktiv an diesen Entscheidungen mitwirken wollen, gehen Sie wählen. Oder, besser noch, gehen Sie auf die Straße, vernetzen Sie sich und geben Sie Ihrem Sein als Bürger*in zusätzlich Bedeutung. Vor allem aber, bleiben Sie am Ball, informieren Sie sich und wetten Sie gegen mich!

Salzburg, 6|2024 – Gerd

Hinweise

Dr. Jekyll und Mr. Hyde = Novelle von R. Stevenson, in der es dem Wissenschaftler Dr. Jekyll mittels eines Serums gelingt, seine dunkle Seite (Mr. Hyde) hervorzukehren.

L’état, c’est moi = französisch „der Staat bin ich“

Deutsch-Deutsche Achse = Deutschland als EU-Führungsmacht und Frau von der Leyen als Kommissionspräsidentin.

Linktipp

Frankreich droht Waterloo-Moment: https://orf.at/stories/3361712/ »

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