EURO Stuttgart

KOMMENTAR | Content-ID: 152|01 | Autor: Gerd | Stand: 11.7.2024
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EURO 24 | Impressionen

Meine Top-Fünf-Erkenntnisse zur EM

Wer mag es nicht, wenn sich Nationalmannschaften im fairen Wettstreit darüber einig werden, wer gerade das Maß aller Dinge in welcher Sportart auch immer ist? So auch bei der gerade laufenden EURO im Fußball. 24 Teams, die sich in einer beinharten Qualifikation das Recht erspielt hatten, um die Krone des Kickens zu rittern, hatten im Frühsommer 2024 die Gelegenheit dazu. Eine Gelegenheit, die von den einen ganz gut und von anderen eher kritikwürdig genutzt wurde. Dazu halte ich an dieser Stelle fest, dass dieser Beitrag noch vor den Halbfinalspielen der EM geschrieben wurde. Und zwar bewusst, weil es für ein Resümee der Veranstaltung herzlich egal ist, wer jetzt Sieger und wer erster, zweiter oder dritter Verlierer wurde. Denn neben der Erkenntnis, dass – wie in jeden Großevent – wieder einmal viel zu viel hineininterpretiert wurde, das dann nicht wahr werden sollte, ist bis jetzt nicht viel passiert.

Trotzdem waren diese Europameisterschaften ein gutes Schaufenster für einen Blick auf die Gesellschaft, Europa, einzelne Länder, den Sport allgemein und den Fußball im Speziellen. Vor allem aber war es für mich ein Wetteifern der Erklär-Bär*innen aus und zu fast allen Bereichen unseres Lebens. Zudem ein höchst politischer Event. Und ein hervorragendes Beispiel dafür, wie man einen so unschuldigen Sport wie den Fußball zu Tode organisieren und reglementieren kann. Hier meine Top-Fünf-Erkenntnisse aus der EURO 2024:

Feiern bis zum Zungenschlag

Egal ob rund um die Stadien oder irgendwo in den öffentlichen oder privaten Fan-Zonen: Die EM hat wieder einmal gezeigt, dass viele Leute nicht nur 90 Minuten plus Verlängerungen für ihr Wohlbefinden brauchen, sondern Gelegenheiten suchen, sich längerfristig emotional und alkoholisch wegzustellen. Das ist okay so. Wenn die Deutschen, die ja während jedes Karnevals ihr Feier-Gen ausleben dürfen, zum großen Umtrunk einladen, brauchen sich die europäischen Gäste nicht zurückzuhalten.

Die eigene Nation „first“

Warum nach der vorangegangenen EU-Wahl nicht mal Pause von der Erzählung eines geeinten nationenübergreifenden Europas machen? In diesem Sinne waren heuer Trainer am Zug, die mit ihren Teams ganze Völker geeint und gehörig Patriotismus verbreitet haben. So hat Herr Nagelsmann wieder Lust aufs Deutschsein gemacht. Herr Rangnick hat Gleiches für die Österreicher*innen getan, Herr Yakin für die Schweiz oder Herr Sagnol für Georgien. Gut, keine der genannten Nationen findet sich im Halbfinale wieder. Das wiederum bringt den wiederbelebten Nationalstolz der Verlierer-Nationen zum Kochen – auch deshalb, weil dort mit Frankreich und England Teams sind, die während der bisherigen Spiele von den eigenen Fans eher grob denn euphorisch behandelt wurden. Auch die Niederlande bekamen teilweise ihr Fett weg. Nur Spanien steht aktuell fußballerisch wohl über den Dingen.

Ist Sport politisch und wenn ja, für wen?

Es ist okay, wenn sich Prominente in den Dienst einer höheren Sache stellen. Politik ist angesichts der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft eine dieser höheren Sachen, die ein Engagement rechtfertigen. Es ist daher nicht verwerflich, wenn Frankreichs Superstar Kylian Mbappé vor rechten Parteien bei der französischen Wahl warnt. Oder deutsche Spieler vor einem Rechtsruck im eigenen Land, ohne dafür gemaßregelt zu werden. Sie berufen sich damit auf eine gewisse „europäische Leitkultur“, was auch immer das sein mag. Wir wissen jetzt aber auch, dass die Türkei mit dieser „Leitkultur“ wenig am Hut hat, wenn ein Spieler mit rechtsextremen Gesten prahlt und dafür von den Fans gefeiert wird. Jetzt ist das Zeigen des Wolfsgrußes – im Gegensatz zum Hitlergruß – in Deutschland nicht gesetzlich verboten. Damit aber bleibt die Diskussion um den genannten Vorfall eine gesellschaftspolitische und keine juristische. Wie also umgehen mit politischen Statements von Sportler*innen, deren Gesinnung zwar unerwünscht, jedoch zähneknirschend erlaubt ist? Bitte diese Frage vor dem nächsten Großevent klären.

Spielideen töten die Lust am Zuhören

Vorbei sind die Zeiten, in denen ein Spieler den quergeschlagenen Ball mit einer Grätsche von der Outlinie geklaubt und zum Mittelstürmer weitergeleitet hat. Der hat im Anschluss daran zwei Verteidiger ausgetanzt und die (Schweinsleder-)Wuchtel am Torhüter vorbei in die Maschen gezirkelt. Heute verschieben sich hoch-verteidigende 3:1:3:2:1-Formationen leicht auf jene Seite, auf der ein besonders schneller Spieler aus der 3er-Kette einen Tiefenlauf gestartet hat. Und das in der Hoffnung, dass der „tiefstehende 6er“ über den „falschen 8er“ den Ball zwischen die Reihen bringt. Blöd nur, dass dort schon die Verteidigung steht, weil sie a) genauso hoch verteidigt. Und sie b) aus dem Videostudium des Gegners erkannt hat, dass exakt in diesem Raum eine Balleroberung und damit eine lukrative Umschaltsituation eine um 4 % höhere Wahrscheinlichkeit hat als durch das Zustellen des gegnerischen „10ers“. Klar: Taktik ist nötig und interessierten Zuseher*innen durchaus zuzumuten. Dass aber das (sprachliche) Kommentieren der Bilder zum ausschließlichen Zahlen-Zählen in den sich laufend verschiebenden Reihen verkümmert, ist wohl zu viel des Guten.

VAR = videotechnisch assistierte Realitätsverweigerung

Wer träumt nicht davon, dass in einer derart ernsten Sache, wie ein Fußballspiel eine ist, alle Regeln eingehalten und alle Verstöße gnadenlos geahndet werden? Deshalb haben die verantwortlichen Funktionär*innen den drei bei dieser EURO immer männlichen Schiedsrichtern auf dem Feld ein technisch hochgerüstetes System zur Seite gestellt. Ein Wunderding, das Recht auch Recht sein lässt – den VAR. Das ist ein videogestütztes System, das allen Versprechen zum Trotz nicht wirklich helfen kann, ein Fußballspiel fehlerfrei zu leiten. Dass damit jedes Tor zu einer langen Spielunterbrechung, jede Abseitsentscheidung zu einer Hängepartie oder jedes Handspiel zu einem gerichtsähnlichen Beweisverfahren führt, ist die eine Seite. Die andere, für mich weit relevantere Seite ist, dass der VAR nicht das gesamte Spiel lenkt und somit nicht überall dort eingreift, wo die Schiedsrichter etwas übersehen haben. Was ist fair daran, wenn ein Foul-Entscheid 10 cm innerhalb der Strafraumgrenze zu einem Video-gecheckten Elfer führt, eine übersehene spielentscheidende Situation 5 Meter außerhalb jedoch nicht geahndet wird? Also: entweder ganz, dann spart euch die Referees auf dem Platz. Oder gar nicht, dann leben wir wieder mit dem Tatsachenentscheid und Schiris als Menschen.

Salzburg, 7|2024 – Gerd

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