Analogland

Content-ID: 083|01 | Autor: Gerd | Stand: 10.2.2022

Analogland

Digitale Grenzen ziehen

Anfang der Woche gab es tatsächlich einen „Safer Internet Day“. Also einen Tag, an dem weltweit den Gefahren im Internet öffentlich Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob es dabei tatsächlich darum ging, Cyber-Crime, Datenmissbrauch oder Fake-News zu thematisieren. Oder ob die IT-Lobby nur die Gelegenheit bekam, zu suggerieren, dass sie trotz aller miesen Schlagzeilen die Situation im Griff hätte. Wohlgemerkt „hätte“, denn die Branche ist mindestens so sehr Teil der Probleme wie auch Teil der Lösungen. Aber eigentlich ist es egal. Denn meine Intentionen für die zunehmende Digitalisierung dieser Welt sind es, ihren Einfluss auf mein Leben weitgehend selbst zu bestimmen. Wie weit ich jedoch für meine Rechte kämpfen muss, sofern sie nicht allgemein gewährleistet sind, wird sich noch weisen. Klar ist mir aber, dass mein Leben trotz Hyper-Digitalisierung zum überwiegenden Teil ein analoges bleiben soll. Eines, das real gelebt und nicht virtuell gesteuert werden will.

Jetzt bin ich beileibe niemand, der sich dem innovativen Potenzial zunehmender Digitalisierung verschließt. Im Gegenteil: Ich empfinde die digitale Lösung vieler Herausforderungen dieser Welt als absoluten Gewinn für die Menschheit. Sogar dann, wenn damit gewohnte Routinen abgelöst werden und Neues erlernt werden muss. Die Welt ist ohnehin im Umbruch, warum also nicht auch durch Big Data, Internet, KI und Co?  Umso mehr ist es sinnvoll, den laufenden und künftigen Entwicklungen dort Grenzen zu ziehen, wo sie aus dem Ruder zu laufen drohen. Die Digitalisierung ist nämlich keine von Vernunft und Gemeinwohl getriebene Entwicklung mehr. Die wissenschaftliche und gesellschaftliche Widmung digitaler Techniken hat längst Machtstreben, Gier und ungefiltertem Hass Platz gemacht. Deshalb muss, wer Schlagworte wie Optimierung, Produktivität und technischen Fortschritt verwendet, auch Kriminalität, Missbrauch und Spaltung in den Mund nehmen.

Digitales Dschungelcamp

Der virtuelle Raum ist kein sicherer Ort für Menschen, die sich unbedarft dem Vergnügen von Spielen, dem ungestörten Konsum oder sozialen Kontakten hingeben wollen. Zu oft lauern Gefahren, die sich sehr real auf das Leben einzelner Menschen auswirken können. Die digitale Welt kann, so wie Geschichten aus dem Dschungelcamp, bitterböse, hinterhältig und egomanisch sein. Und zwar in einem Ausmaß, dessen Beschreibung ganze Bibliotheken füllen würde. Ich habe Ihnen zur Veranschaulichung von bedenklichen Entwicklungen in der digitalen Welt einige Schlagzeilen aus den Medien der letzten Tage herausgesucht.

Das Metaverse ist kein rechtsfreier Raum

Der Digitalkonzern Meta (vormals Facebook) plant, eine virtuelle Welt zu schaffen, in der Menschen ein zweites Leben führen können. Ein paralleles digitales Leben(!) mit sozialen Kontakten, virtuellen Begegnungen oder eigenen (konsumierbaren) Fashion-, Game- oder Freizeit-Welten. Schnittstelle zur realen Welt sind dann die Menschen selbst und deren Vermögen, das sie in der virtuellen Welt ausgeben können. Damit entsteht aber auch eine neue Dimension krimineller Möglichkeiten.

Link: https://www.derstandard.at/story/2000133125791/betrug-mobbing-und-markenrecht-das-metaverse-ist-kein-rechtsfreier-raum »

Cyber-Mobbing nimmt zu

Mobbing im Internet, also das Ausüben von psychischer Gewalt, hat während Corona zugenommen. Besonders unter Jugendlichen ist ein Anstieg gegenseitiger Gewalt über digitale Kanäle zu vermerken. Immerhin ist gut ein Sechstel der Jugendlichen direkt davon betroffen.

Link: https://www.diepresse.com/6096110/cybermobbing-hat-waehrend-der-pandemie-zugenommen »

Gegen Phishing und Malware

Die aktuell beliebtesten Varianten, Ihnen Geld oder verwertbare Daten aus der Tasche zu ziehen, sind Phishing, also das Aushorchen von Passwörtern, und Malware, der Einsatz von Schadsoftware. Diese Art der vorbereitenden Kriminalität (der Schaden wird ja erst später angerichtet) kann jeden Menschen treffen.

Link: https://www.derstandard.at/story/2000133175913/wie-man-nicht-nur-seinen-google-account-vernuenftig-absichert »

Link: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/home-office-cybersicherheit-tuev-101.html »

Link: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/chronik/wien-chronik/2137083-Cyberkriminalitaet-grassiert-in-Wien.html »

Autonome Waffensysteme

Was in Science-Fiction-Filmen á la Terminator eine Gänsehaut erzeugt hatte, ist heute sehr real auf den Schlachtfeldern dieser Erde zu finden. Es gibt sie bereits, die Maschinen, Drohnen und Zielsysteme, die in der Lage sind, Menschen selbstständig aufzuspüren und zu töten. Hingegen gibt es kein Gesetz, das dabei Mindestregeln der Menschlichkeit und Sicherheit einfordert.

Link: https://www.welt.de/politik/ausland/plus236393507/Autonome-Kampfmaschinen-Diese-Waffen-entscheiden-allein-wen-sie-toeten.html »

Her mit dem Krypto-Geld

Bitcoin und Co sind nicht nur digitale Währungsformate, die u.a. an den Notenbanken vorbei größere Gewinne und schnelleren Reichtum als üblich ermöglichen sollen. Sie sind auch Techniken, die gehackt werden können, und animieren damit Heerscharen an Kriminellen zu Höchstleistungen.

Link: https://www.derstandard.at/story/2000133079881/hacker-erbeuteten-320-millionen-dollar-auf-krypto-plattform-wormhole »

Und dann gibt es noch den digitalen Blackout, den Missbrauch sensibler Daten und fremder Identitäten und jede Menge mehr Schadpotenzial, das für die Zukunft nicht nur Gutes erahnen lässt.

Irgendwann bleib i dann dort

Es ist höchst an der Zeit, selbst zu definieren, wieweit wir digitale Einflüsse an uns heranlassen möchten. Darauf zu vertrauen, dass wir digital durch ein umfassendes Gesetz und ausschließlich seriöse Anbieter*innen geschützt sein werden, ist eher blauäugig. Vielmehr braucht es auch einen analogen Korridor durch die digitale Welt, um den Bezug zum realen Leben nicht zu verlieren. Ich selbst gönne mir daher immer wieder analoge Auszeiten. So eine Art Urlaub im Analogland. Ich lasse dann das Handy zuhause, frage echte Menschen nach dem Weg, sehe auf den Kirchturm, wenn ich die Zeit wissen möchte, kaufe im Laden oder lese Hinweistafeln und Ortspläne. Es ist wie ein Ausflug in eine Selbstbestimmung, die uns mehr und mehr virtuell abgenommen wird. Ein Rückzugsort, an dem Eigeninitiative, Kreativität, Wissen und Lösungskompetenz gefordert sind. Vor allem aber ist die analoge Welt jene, in der wir leben, spüren, atmen und lieben. Und je mehr die virtuelle Realität, die an sich ja gar nicht real ist, mich vereinnahmen möchte, umso mehr suche ich den Ausstieg. Mit dem Tempo, mit dem wir auf den digitalen Overkill zusteuern, werden diese Ausflüge in die analoge Welt wohl exponentiell zunehmen.

Vielleicht sogar bis zum endgültigen Abschied: „Und irgendwann bleib i dann dort, lass alles lieg‘n und steh’n, geh von daham [zumindest von der virtuellen Scheinwelt] für immer fort“ (S.T.S., 1985). Und dann lebe ich ausschließlich wieder analog.

 

Salzburg, 2|2022 – Gerd

Hinweise

Irgendwann bleib ich dann dort = Kult-Lied der österreichischen Band S.T.S. (1985)

Suggerieren = einen (falschen) Eindruck entstehen lassen

KI = künstliche Intelligenz

Overkill = englisch für extremes Übermaß