Baustopp

Content-ID: 084|01 | Autor: Gerd | Stand: 17.2.2022

Baustopp

Keinen Beton mehr in Löcher gießen!

Mit Blick aufs Klima, bauen wir viel zu viel. Mir ist klar, dass ein Verzicht auf notwendige Bau-Maßnahmen nicht der versorgungs- und wirtschaftspolitischen Realität entsprechen kann. Zu wichtig ist die Branche für das BIP und den Wohlstand in Europa. Und trotzdem ist ein alternatives Gedankenexperiment in diese Richtung dringend notwendig. Als Initialzündung gewissermaßen. Denn weiterhin alles zu verbauen und zu versiegeln, was vor den Bagger kommt, ist ebenso widersinnig, wie gar nichts mehr zu tun. Unter anderem auch deshalb, weil die Branche – insbesondere deren exzessiver Einsatz von Beton – als Treibhausgasproduzentin der obersten Liga gilt. Rechnet man mit 700 kg CO2 bei der Herstellung von einer Tonne Beton, wird jede Kellerstiege zur Gewissensfrage. In Summe werden rund 8 % aller Treibhausgas-Emissionen weltweit der Produktion und dem Einsatz von Beton zugeschrieben. Na, wenn das nicht Grund genug ist, mit diesem Baustoff ganz besonders sensibel umzugehen, oder?

Wenn Sie jetzt einen Abwehr-Reflex gegen das Verteufeln der Baubranche erleiden, dann haben Sie damit durchaus recht. Immerhin ist sie eine der wenigen Schnittstellen, an der die Politik direkt in die Wirtschaftskraft des Landes eingreifen kann. Sowohl mit den Abermilliarden Euro, die sie als Auftraggeber*in in den Wertschöpfungskreislauf einspeist, als auch über eine Vielzahl an Impulsen, die sie bei Investor*innen und Innovator*innen setzt. Das abzuwürgen, wäre ebenso wirtschaftliche Selbstverstümmelung wie die kürzlich erlebten Corona-Lockdowns. Zudem gibt es viele offene Projekte, die es rasch umzusetzen gilt, um die Zukunft des Landes und dessen Transformation dahin zu sichern. Ob es um den nachhaltigen Ausbau von Verkehrs-, Wohn- und Wirtschaftsinfrastruktur geht oder um die Sanierung systemrelevanter Bausubstanz, die Erschließung von Energie- und Rohstoff-Quellen und die Vorbereitung neuartiger Mobilitäts- und Produktionstechniken: Es gibt viel zu tun!

Das Zug-um-Zug-Dilemma

Jedoch bringt unkoordiniertes, übermäßiges Bauen auch Probleme mit sich, die wir künftig lieber nicht hätten. Nur zur Erinnerung: Alle „Wende“-Projekte wie z.B. Energie, Mobilität, Ernährung etc. brauchen noch Zeit, um sich schrittweise der Klimaneutralität zu nähern. Obwohl wir wissen, dass sich in rasantem Tempo Klima-Kipppunkte nähern, setzt man in diesen Branchen, statt auf sofortige Reduktion, noch zu oft auf technische Lösungen in ferner Zukunft. Reicht es aber tatsächlich, zuzuwarten, wenn schon im Hier und Heute der Ausstoß an Treibhausgasen drastisch eingeschränkt werden muss? Oder sollte die Menschheit nicht danach trachten, unmittelbar zu handeln? Einige schnelle, unkomplizierte Ansätze liegen ja schon auf dem Tisch und scheinen sukzessive bei den Menschen anzukommen. Weniger fossile Energie verwenden und mehr Initiative bei den Erneuerbaren zeigen. Nicht nur das eigene Auto, dafür mehr die Öffis nutzen. Oder aber weniger Fleisch essen und saisonale, regionale Produkte verwenden.

Lediglich in der Baubranche scheint Reduktion kein Thema zu sein. Da teure CO2-Zertifikate der Zementindustrie kostenlos zur Verfügung stehen, fehlt jegliche Motivation zum Umdenken. Dabei gäbe es durchaus die Möglichkeit, sofort auf die CO2-Bilanz einzuwirken – selbst im Infrastrukturbau. Nämlich die, nicht immer in die Vollen zu greifen und eher Zug um Zug vorzugehen. Der Grundsatz dabei wäre, heute nur dort zu bauen, wo dringender Bedarf herrscht oder etwas instandgesetzt werden muss. Einiges kann tatsächlich warten, bis klimafreundliche Alternativen zu Beton/Zement auf den Markt gebracht werden. Weitere Projekte werden, durch technische Innovation an anderer Stelle, ohnehin bald wieder obsolet werden. Und es gibt auch Projekte, die grundsätzlich für die Würste wären und zu den Akten gelegt werden sollten. Anhand zweier Beispiele aus dem Raum Salzburg lässt sich gut nachvollziehen, dass mit Groß-Bauvorhaben auch aktuelle Klimapolitik betrieben werden könnte.

ÖBB-Bahntunnel im Flachgau

Die ÖBB plant den viergleisigen Ausbau der Bahnstrecke als Tunnel zwischen Neumarkt und der Stadt Salzburg. Damit soll einem modernen und klimafreundlichen Verkehrsangebot abseits der Straße eine leistungsfähige Infrastruktur gegeben werden. Grundsätzlich entspräche diese Zielsetzung natürlich allen Anforderungen an eine zukunftsfitte, klimagerechte Mobilitätsplanung. Wären da nicht einige Punkte, die noch zu klären sind.

Ist es tatsächlich notwendig, diese Trasse sofort in Form eines Tunnels umzusetzen? Wäre es angesichts nahender Kipppunkte nicht geboten, heute und nicht erst morgen CO2-Emissionen zu verhindern? Immerhin muss im Tunnelbau so exzessiv Beton eingesetzt werden, dass die Treibhausgasbilanz derartiger Projekte erst in vielen Jahrzehnten ins Positive kippt – wenn überhaupt. Zudem ist, Innovationen in anderen Bereichen zufolge, in absehbarer Zeit zu erwarten, dass im ÖPNV schienengebundene Lösungen nicht mehr notwendig sein werden. Die Zukunft des Nahverkehrs wird wohl keine erste und letzte Meile mehr kennen. Ebenso wenig, wie Stationen, festgelegte Routen und fixe Fahrpläne. Zudem geht die Herausforderung künftiger Mobilitätsplanung weit über das Bewegen von Personen und Gütern hinaus. Tatsächlich müsste endlich ein Denken in „Trassen“ für den Transfer von Daten, Energie, Rohstoffen, Gütern und Menschen in verschiedenen Ebenen einsetzen. Für Kabel, Schienen, Straßen, Röhren, Mikro-Flugrouten, Kanäle etc. sollte es künftig eine gemeinsame Route durch die Landschaft geben und nicht separate. Damit aber ginge das Bauvorhaben eines (ausschließlichen) Bahntunnels vor Salzburg nach derzeitiger Planung doch erheblich am Ziel vorbei. Also, warum nicht den Tunnelbau erst mal bleiben lassen und für die nächsten Jahre Bestehendes oberirdisch sanieren bzw. aufwerten?

Mönchsberggarage Salzburg

Die Stadtregierung in Salzburg plant, im Mönchsberg zusätzliche 600 Stellplätze zu schaffen. Dazu muss, neben der bestehenden Garage, der Berg weiter ausgehöhlt und baulich adaptiert werden. Gegen dieses Projekt läuft die umweltbewusste Szene in Salzburg aktuell Sturm. Zu Recht, wie ich meine. Kann doch die Stadtpolitik den tatsächlichen Bedarf an zusätzlichen Stellplätzen nicht glaubwürdig nachweisen. Zudem verursacht der Bau selbst erhebliche Eingriffe in eine schützenswerte Naturlandschaft (Krauthügel) am Fuße der Festung. Dazu kommt, dass das zusätzliche Angebot an Stellplätzen den Zustrom von PKW in die Innenstadt weiter verstärken wird. Damit wiederum agiert man bewusst gegen den weltweiten Trend, Innenstädte eher verkehrsfrei denn überlastet zu halten. Letztendlich verursacht der Garagenbau im Berg derart hohe Kosten, dass eine Amortisation über den laufenden Betrieb schon heute zweifelhaft scheint.

Dabei sind Kosten für den CO2-Ausstoß gar nicht in die Kalkulation eingeflossen. Schriebe man für jede Tonne Beton, die in die Höhle gegossen werden muss, eine marktgerechte CO2-Abgabe vor, würde selbst die Betreibergesellschaft ihre Finger vom Projekt lassen. Leider aber werden nach aktuellem Stand Baustoffe wie Beton nicht für deren CO2-Bilanz besteuert. So fehlen Anreize, für derartige Projekte einen Klima-Ausgleich zu generieren. Als Bauvorhaben, ohne Effekte für den Klimaschutz, müsste für die Mönchsberggarage die volle CO2-Abgabe für die Baustoffe und die Bauarbeiten in Rechnung gestellt und der Erlös für Ausgleichsmaßnahmen verwendet werden. Erst dann zahlen die Nutzer*innen der Parkgarage auch den ökologischen Fußabdruck ihres Stellplatzes und nicht nur die Errichtungs- und Betriebskosten. Ich rate daher dem Umweltministerium, ehest die gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen und finanziellen Ausgleich einzufordern.

Die einfachste Lösung für diese Art der Probleme wäre es jedoch, keinen Beton in unterirdische „Nice to have“-Projekte zu gießen, solange keine CO2-neutrale Alternative dazu verfügbar ist.

Salzburg, 2|2022 – Gerd

Hinweise

Kipppunkte = Klima-Effekte, die ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr umkehrbar sind

Sukzessive = Nach und nach

Obsolet = überflüssig, nicht mehr notwendig

ÖPNV = Öffentlicher Personennahverkehr

Erste / letzte Meile = Ausdruck für die Strecke zwischen einer Station und der Haustüre

CO2-Abgabe = In Österreich wird Mitte 2022 in einzelnen Branchen für jede Tonne CO2 eine Abgabe von € 30,- fällig. Nicht jedoch für den Einsatz von CO2-intensiven Baustoffen.

Nice to have = englisch für „schön, etwas zu haben“ (im Gegensatz zu „must have“ = haben müssen)