ichfordere

KOMMENTAR | Content-ID: 115|01 | Autor: Gerd | Stand: 9.2.2023

Besserwissen!

Ich fordere, also bin ich

In den letzten Monaten habe ich zunehmend den Eindruck gewonnen, dass die Hauptlast der politischen und gestalterischen Arbeit im Lande über das Lancieren von Forderungen gestemmt wird. Über das Ausrichten (lassen), dass offenbar an den entscheidenden Stellen im Lande nicht gearbeitet würde. Angenommen, alle, sagen wir mal die meisten dieser Forderungen haben ihre fachliche Berechtigung. Sähe es dann nicht so aus, als würden die politisch Verantwortlichen die wahren Probleme der Menschen im Lande nicht kennen? Vielleicht sogar darum herumlavieren, während sich die Guten aus der zweiten Reihe die Seele aus dem Leib fordern. Oder ist es doch nur eine DDoSAttacke. Ein Art Forderungs-Spam, mit dem die handelnden Personen überladen werden sollen, während man sich selbst aus dem Spiel der konstruktiven Teamarbeit nimmt? Für mich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Aber finden Sie es für sich doch selbst heraus.

Nur fürs Gespür, das wurde am 25.1.2023 zwischen 8 und 9 Uhr von deutschsprachigen Medien via Internet den Leser*innen präsentiert: Die Ukraine fordert von der NATO bis zu 300 Kampfpanzer und in weiterer Folge Kampfjets. Der Qualitätssicherungsrat der Pädagog*innen fordert gleiche Grundprinzipien für Aufnahmeverfahren. Die Pensionist*innenverbände fordern eine vorgezogene Pensionserhöhung. Herr Doskozil fordert, dass Absolvent*innen von heimischen Medizin-Unis mindestens 10 Jahre in Österreich arbeiten. Die Niederlande fordert eine Umverteilung von Migrant*innen. Die deutsche Gewerkschaft fordert mit einem Streik 500 Euro/Monat mehr für Bedienstete im Flugverkehrswesen. Für Beschäftigte im öffentlichen Dienst wird ein Lohn-Plus von 10,5 % gefordert. Die US-Regierung fordert die Zerschlagung von Googles Geschäftsbereich für Werbeanzeigen. Die UN fordern Deutschland zur Verlängerung der Afghanistan-Hilfe auf. Jens Spahn fordert den Weiterbetrieb von AKWs in Deutschland bis 2024. Die Grünen fordern wegen Rassismus die Absage eines Rockkonzerts. Und sie fordern die Umgestaltung der „Zweierlinie“ in Wien. Diese sehr kleine Auswahl an kolportierten Forderungen entstammt tatsächlich nur den Einstiegsseiten einiger Medien während dieser einen Stunde. Und sie enthält angesichts tagespolitisch aktuellerer Themenstellungen keine üblichen Forderungen zum Klimaschutz, zur Kinderpornographie, zur Inflation, zur Oppositionspolitik, zur Energieversorgung, zur Kinderbetreuung u.v.m. – aber die gibt es ohnehin massiv und auch weiterhin.

Bei dem, was alles öffentlich gefordert sein will, gibt es kaum Grenzen. So fordern wichtige Leute beispielsweise mehr oder weniger Geld, höhere Strafen oder gar keine, mehr oder weniger Freiheiten, weniger Tempo, niedrigere Preise, bessere Ausstattung, kleinere Einheiten, klarere Regeln, mehr Transparenz, höhere Quoten, mehr Aufmerksamkeit, Einbindung, Frieden, Respekt oder irgendjemandes Rücktritt. Die Themen, bei denen etwas derart eklatant aus dem Ruder läuft, dass etwas eingefordert werden muss, scheinen so vielfältig zu sein wie selten zuvor. Gefühlt übertreffen in den Medien die Schlagzeilen zu Forderungen an Zahl sogar jene zu reinen Tatsachenberichten oder gelösten Problemen. Lediglich Skandale und Verbrechen werden wohl immer dieses Ranking anführen. Wobei ich fordere, das endlich zu ändern. Aber egal: Damit sieht es so aus, als würde rund um uns herum nichts geschehen. Zumindest nichts davon, was die fordernden Personen für so dringend erachten, dass sie die (nicht genehm) handelnden Personen unter Druck zu setzen suchen. Es scheint, als wäre die Welt falsch zweigeteilt. Jene, die immer und alles falsch machen, sitzen an Hebeln, die sie nicht zu betätigen wissen. Und die, die’s wüssten, dürfen nicht. Deshalb müssen sie sich selbst ins Geschehen reklamieren. Erst mittels Einflüstern, dann mit Verhandlungsangeboten und letztendlich mit knallharten Forderungen. Und zwar so lange, bis die Rollen wechseln und die fordernden Personen zu den neuen Versager*innen mutieren, die wiederum mit Forderungen überschüttet werden (müssen).

Richtig zu fordern, ist ein Knochenjob. Allein die initiale Eskalation eines Problems in die höchsten Sphären menschlicher Emotion braucht schon immense Kraft. Mehr noch, wenn danach Lautstärke und (social) mediale Präsenz erreicht werden sollen. Und das muss es, um aus der wirren Kakophonie des permanenten Forderungskanons herauszustechen. Und den Rest Energie verschlingt es, um am Gipfel der Aufmerksamkeit zu verharren. Wenn geht, noch die nächsten ein, zwei Folgeforderungen zu übertönen, bevor dieses Spiel erneut begonnen werden muss. Das frisst Substanz. Und zwar so sehr, dass eine konstruktive Mitarbeit bei der Lösung der monierten Missstände oft nicht mehr drinnen ist. Wer daher die forderungsintensiven Szenen längere Zeit verfolgt, wird bemerken, dass Macher*– und Forder*innen in den seltensten Fällen die gleichen Personen sind. Auch dann, wenn sie regelmäßig ihre Rollen tauschen. Ist aber auch logisch, man ist ja nicht für alles zuständig. Vielleicht lässt sich aber darauf achten, dass jene Forderungen, die tatsächlich gedacht sind, ein Problem zu lösen, anstatt es zu verschärfen, mehr Aufmerksamkeit erhalten. Es sind gar nicht so viele, wie man meinen möchte. Klicken Sie sich doch selbst eine Stunde durch die österreichische und deutsche Medienlandschaft. Und checken Sie die Flut der Forderung darin. Sie werden feststellen, dass, neben einigen wichtigen, jede Menge fordernde Wortmeldungen zu finden sind, die schlichtweg für die Würste wären. Welche das sind, entscheiden bitte Sie selbst!

Da aber noch niemand gefordert hat, Forderungen zu verbieten, habe auch ich einiges auf dem Zettel, von dem ich mir erwarte, dass andere es umsetzen. Auch dann, wenn meine Vorstellungen utopisch, anmaßend und auch mal unerfüllbar sind!

Top 3 aus Gerds Forderungskatalog

Liebe Nato-Länder: Beendet den Ukraine-Konflikt bis spätestens Mai 2023. Egal wie, jedoch muss schleunigst das Massensterben am Donbas ein Ende haben. Und wenn das nicht gelingt, dann habt ihr im Namen der Ukraine diesen Krieg verloren!

Liebe EU: Ich fordere euch auf, rasch ein Asylsystem zu entwerfen, in dem humanitäre Grundsätze, Menschenwürde und Respekt die Feder führen. Und zwar als Projekt aller Länder und Gesinnungen.

Liebes Klima: Bitte wandle dich nicht zu schnell. Da sich die Menschheit bis dato als zu inkonsequent und zu wehleidig erwiesen hat, wird es wohl noch mehr Zeit brauchen, um die Karre, pardon, die Erde, wieder flott zu machen.

 

Salzburg, 2|2023 – Gerd

Hinweise

Ich fordere, also bin ich = scherzhafte Abwandlung des Satzes „Ich denke, also bin ich“ des Philosophen Descartes.

Lancieren = bekannt machen

Herumlavieren = nicht richtig Stellung beziehen

DDoS-Attacke = Mail-Schwemme, um Server lahmzulegen

Kakophonie = schlecht/wirr klingende Abfolgen von Lauten

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