Wirtschaftswunder

KOMMENTAR | Content-ID: 137|01 | Autor: Gerd | Stand: 14.12.2023
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Deutscher Wirtschaftszauber

Die Magic Lindner Show

Da sitze ich nun, auf den billigen Plätzen im von Deutschland aus gesehenen Ausland, mit weit aufgerissenem Mund und trau meinen Augen nicht. Jetzt sind doch glatt dem Ober-Finanz-Jongleur des europäischen Leitmarktes die Keulen aus der Hand gerutscht und auf den Boden der Realität gekracht. Es ist so, als hätte mir das Schicksal zum 2023erShowdown eine echt unbehagliche Geschichte aufgelegt. Besser gesagt, das deutsche Bundesverfassungsgericht hat es getan. Und sie offenbart die Sackgasse, in die wir marktorientierten Gesellschaften uns mittlerweile verfahren haben, gnadenlos.  Es geht um die Tatsache, dass selbstheilende Märkte und ewiges Wachstum zu einer Mutmach-Erzählung verkommen sind, die maximal bei wirtschaftlichem Schönwetter hält, was sie verspricht. Und dass dauerwahlkämpfende Regierungen vielleicht zu dämlich sind, Staatshaushalte zukunftsfit auszugestalten. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Für alle, die ihren Fokus die letzten Monate auf andere Themen gelegt haben als das Platzen der Finanzierungsblasen für einige zentrale Zukunftsinvestitionen Deutschlands, eine kurze Rückschau. Im Herbst 2023 hat das deutsche BVG die Umleitung von Sondervermögen zur Bewältigung der Coronakrise zu widmungsfremden Projekten für verfassungswidrig erklärt. Damit fehlen für z. B. Investitionen in den Klimaschutz Zig-Milliarden Euro. Und es gibt Befürchtungen, dass das für noch viele weitere Milliarden aus anderen Sondervermögen gelten könnte. Geld, mit dem sich das Land eine bessere Zukunft kaufen wollte. Jetzt betreibt die deutsche Regierung Schadensbegrenzung, beschließt Nachtrags- und Sparhaushalte und eiert um ein Schuldenmachen „auf klassischem“ Wege herum. Denn das würde bedeuten, dass die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse de facto entsorgt wäre. Und dass dann die Bonität des Landes unter Druck geraten könnte. Was nichts an der Tatsache ändert, dass auch schuldenbasierte Sondervermögen vom Staat ausgeglichen werden müssen.

Jetzt steht Deutschland vor dem Dilemma, dass die schiefe Optik durch fehlgeschlagene Finanztricks jene durch zu hohe Schulden weit übersteigt. Es geht nämlich längst nicht mehr darum, ob die Aufnahme von Schulden zur Finanzierung der Zukunft grundsätzlich richtig oder falsch ist. In dieser Frage ist der Zug längst in Richtung „Resilienz durch Investition“ statt „Tod durch Sparen“ abgefahren. Das aktuelle Problem ist, dass mittels Sondervermögen eigentlich die Probleme der Gegenwart gelöst werden sollten. Auch wenn dafür recht unverfroren auf die budgetäre Substanz der Zukunft zurückgegriffen wird. Deshalb wirkt der Versuch der Regierung, übrig gebliebene Verschuldungs-Sonderrechte aus dem Corona-Topf echten Zukunftsthemen zu widmen, nicht unsympathisch. Trotzdem: Die Regel lautet, dass für die Einrichtung von Sondervermögen eine Notlage begründet werden muss, die es akut zu bewältigen gilt. Alles andere müsste übers reguläre Budget finanziert werden. Aber darin scheint für Zukunftsthemen kein Platz zu sein.

Dieses Vorhaben, für imageträchtige Investitionen einen Schuldenberg hinter dem Schuldenberg aufzuschütten, der, solange er im Verborgenen wächst, locker kommenden Generationen und künftigen Regierungen überlassen werden kann, ist jetzt krachend gescheitert. Und während sich der Bund nun darum kümmern muss, die aufkeimende Häme auszuhalten und die Scherben der eigenen Politik aufzusammeln, dreht sich die Welt weiter. Im Klartext: Die Preise bleiben hoch, die Armut wächst, die Industrie stöhnt, die Wirtschaft schwächelt, die Insolvenzen steigen, die Pensionen werden unfinanzierbar, die Löhne müssen rauf, die Zinsen runter und jede Menge Investitionen harren ihrer Verwirklichung. Dazu noch das Aufarbeiten eines Jahrzehnte alten Investitionsstaus, die eingegangenen internationalen Verpflichtungen zur Rettung der Welt und jede Menge Tagesgeschäft, das abgewickelt werden muss. Jetzt ist wahrlich kein guter Zeitpunkt, die Finanzen nicht im Griff zu haben.

Das Paradoxe daran ist, dass in allen drei möglichen Szenarien irgendwann auf die Aber-Billionen Euro der reicheren Bevölkerung zurückgegriffen werden wird. Offen sind nur der Zeitpunkt und die Wirkung der umverteilten Mittel. Entweder geschieht es jetzt, dass mit Mehreinnahmen aus privaten Vermögen die Zukunft des Landes abgesichert wird. Oder es passiert dann, wenn Privatvermögen für den Staats-Schuldendienst herangezogen werden müssen. Oder, final, wenn sowohl der Staat als auch die Vermögenden in der nächsten Weltwirtschaftskrise ihr Hab und Gut verlieren.

Nur gut, dass wir da in Österreich besser aufgestellt sind. Und das ist gar nicht so polemisch gemeint, wie es für manche klingen mag.

Salzburg, 12|2023 – Gerd

PS: Allen Unbehagen-Leserinnen und Lesern wünsche ich ein schönes, behagliches Weihnachtsfest und eine wohlige Auszeit von den Krisen, Bedrohungen und Schieflagen dieser Welt.

Hinweise

Mini-Serie „Verdrängte Krisen“: Wirtschaft | Die Krisensituation in der Welt hat sich nach Corona 2023 zwar verändert, entspannt hat sie sich nicht. Eine der Patientinnen, die wohl noch länger brauchen wird, sich zu erholen, ist die Wirtschaft. Klar: Es gibt Branchen und Regionen, da gehen die Auftragslage und damit die Aufbruchsstimmung längst wieder durch die Decke. Aber gerade in Deutschland, der neuerdings drittgrößten Wirtschaftsmacht dieser Erde und Europas Lokomotive in Sachen Ökonomie, herrscht Resignation. Oder besser gesagt, Rezession, schlechte Wirtschaftsstimmung und die Angst vor einer Deindustrialisierung. Und jetzt das: Das Budgetdesaster der Regierung, die damit signalisiert, für eine Führungsrolle in Europa nicht bereit zu sein. Das wirkt sich auf alle aus, die eng mit der deutschen Wirtschaft verbandelt sind – also auch Österreich.

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