Qual der Wahl

KOMMENTAR | Content-ID: 143|01 | Autor: Gerd | Stand: 7.3.2024
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Die Qual der Wahl

Nicht wen, ob wir wählen wird zur Frage

[Persönliche Meinung] Wenn wir Stadt-Salzburger*innen im März dazu aufgerufen sind, den Gemeinderat und ev. in einer Stichwahl eine Bürgermeisterin oder einen Bürgermeister zu küren, passiert das unter völlig neuen Voraussetzungen. Wir vergeben erstmals blendend dotierte Jobs an uns weitgehend unbekannte Menschen, ohne die Personalauswahl zu sehr an inhaltliche Kriterien zu knüpfen. Einfach so: „Money for being nice“. Ja, ich meine das, so polemisch es klingen mag, tatsächlich ernst. Klar sind die Kandidat*innen und deren engere Bekanntenkreise bzw. deren Info-Blasen überzeugt, echte Schwergewichte für eine Neuausrichtung der Gemeinde ins Rennen zu schicken. Das sind aber mehr denn je klassische „FFF“-Geschichten, die gerade aufgeregt erzählt werden. Ich meine damit „Family, Fools and Friends“ als Multiplikator*innen eines Zweck-Narrativs, zu dem es in der freien Meinungswelt unzählige andere Erzählungen gibt.

Meinem Empfinden nach wurde der diesjährige Wahlkampf seitens der Parteien zu oberflächlich, zu problemscheu, zu wehleidig und vor allem ohne Kompetenznachweis geführt. Liebe Kandidaten, liebe Kandidatin, so wie Sie sich beim Volk bewerben, würden Sie es in einem klassischen Bewerbungsverfahren nicht einmal in die zweite Runde schaffen. Geschweige denn einen milliardenschweren Managementjob ergattern. Ich unterstelle jetzt einmal allen Bewerber*innen um die offenen Posten, diese, wenn schon nicht mit neuen Ideen anreichern, so doch irgendwann inhaltlich ausfüllen zu können. Doch damit vergebe ich, üblicherweise ein Skeptiker und Nörgler vor dem Herrn, Vorschusslorbeeren, die sie sich erst verdienen müssen. Wie aber sollen Wähler*innen entscheiden können, die tatsächlich nachfragen, was aus ihrer Sicht die nächsten 5 plus weitere 20 Jahre bringen werden? Angesichts der im Wahlkampf gezeigten Überschriften-Diplomatie muss jede Person, die die blumigen Wahl-Slogans in gerade einmal zwei bis drei Vertiefungsrunden hinterfragt, verzweifeln. Letztendlich wird sich die Erkenntnis verfestigen, dass keine der Parteien tatsächlich „Zukunft kann“. Auch dann nicht, wenn es in diversen Schlagzeilen den weniger kritischen unter uns suggestiv untergejubelt werden soll.

Frage 1 – die nächste Legislaturperiode

Wie transformieren Sie die mühselige Gegenwart in eine nahe rosige Zukunft?

Wer also wird in welchem Zeitraum mit welchen und auf wessen Kosten welches Problem lösen? Wohlgemerkt lösen, sich nicht nur ihm widmen. Konkret ausformuliert in Projektplanungen, die wiederum in einem „Big Picture“ der Stadt von heute und morgen ineinandergreifend präsentiert werden. Vollmundige Absichtserklärungen wählt kaum jemand, liebe Kandidatin und liebe Kandidaten. Außer natürlich Ihre Familie, Ihre Freund*innen und einige „Fools“, wobei die beiden letztgenannten Gruppen offensichtlich immer kleiner werden. Deshalb befürchte ich auch, dass die Wahlbeteiligung dieser Gemeindewahl nach dem historischen Tief 2019 noch einmal sinken könnte. Damit würden wieder mehr als 50 % der Wahlberechtigten der Stadt bekunden, dass sie mit den Plakaten, Kampagnen und (Brand-)Reden der Parteien und ihres Spitzenpersonals wenig anzufangen wissen. Und dass eine Stadt, in der man Problemverweigerung, Arroganz und Vermögen beim Wachsen zusehen kann, es aushält, wenn man sie zwar verwaltet, jedoch politisch ungeführt lässt. Ich würde mir daher wünschen, dass auf dem Wahlzettel auch die Option „Selbstorganisation der Stadtverwaltung ohne politischen Überbau“ anzukreuzen wäre.

Glauben Sie wirklich, künstlich geschaffene Emotionen, um Konkurrent*innen im Wahlkampf madig zu reden bzw. schreiben, ersetzen Sachpolitik? Dazu als Nebensatz zur Anti-KPÖ-Dramaturgie der großen konservativ/rechten im Parteien-Spektrum: Im Gegensatz zur ÖVP oder FPÖ hat die KPÖ-Plus ihre ideologischen Ansätze längst in die Jetztzeit geholt. Das gescheiterte Wirtschaftsmodell des Sozialismus und einer solidarischen Umverteilung wird gerade generalsaniert. Die Kontakte links-linker Mandatar*innen zur russischen Oligarchie und Autokratie sind im Gegensatz zu einigen politischen Schwergewichten in Österreich überschaubar. Und es wurde die Bürger*innen-Orientierung in einer modernen Gemeindepolitik durch die Auszeichnung der Grazer KPÖ-Bürgermeisterin mit dem „World Mayor Prize 2023“ international geadelt. Jetzt mit einer rückwärtsgewandten Politik und einem kapitalistischen Wirtschaftskonzept, dem man gerade live beim „An-die-Wand-Krachen“ zusehen kann, „Zukunft“ zu heucheln, ist vermessen und unglaubwürdig.

Frage 2 – die mittelfristige Zukunft

Wer kann mit den zukünftigen MÖGLICHKEITEN unserer Gesellschaft umgehen?

So provokant diese Frage klingen mag, so dürftig fallen bei mir die Ergebnisse aus, wenn ich die Zukunftspläne der wahlwerbenden Gruppen hinterfrage. Liebe Parteien und Spitzen-Kandidat*innen: Der innere Film, den Ihre Konzepte für die Zukunft Salzburgs erzeugen, zeigt eine Stadt von gestern, die mit den Mitteln der Gegenwart besser funktionieren soll als bisher. So als würde sich die Welt um Salzburg herum nicht gerade rasant und irreversibel verändern. Und das (bei Einsatz friedlicher Technologien) überwiegend zum Positiven. Allein der technologische Fortschritt (nicht nur der digitale!), der gerade die gesamte Lebensrealität der Menschheit grundlegend verändert, bietet konkrete Chancen, Salzburg und seine Bewohner*innen langfristig an einer modernen Welt teilhaben zu lassen. Klar, wer in der fortschreitenden Digitalisierung mit künstlicher Intelligenz an der Spitze nicht mehr als bessere Handy-Apps und täuschend menschliche Chat-Bots erkennt, hat den Segen, der hier geboten wird, tatsächlich nicht verstanden. Nur um allfällig eingerostete Digital-Schlagzeilen aus der Milch-Mädchen- bzw. Milch-Jungen-Falle zu holen: Neue Technologien und ihre Chancenpotenziale verändern jetzt und in Zukunft die Welt so radikal, dass Versäumtes nur mehr schwer nachzuholen sein wird. Und glauben Sie mir, wenn Sie jetzt nicht auf den schon fahrenden Zug in Richtung Zukunft aufspringen, schaffen es Ihre Nachfolger*innen nie und nimmer mehr.

Auch wenn ich damit einem der kommenden Beiträge auf unbehagen.at vorgreife: Alleine die Diskussion darum, ob die Verkehrsmisere der Stadt durch nostalgisch angehauchte Eisenbahn-Romantik in Form des S-Link gelöst werden soll, macht mich betroffen. Ich stelle dazu fest, dass das S-Link-Projekt weder innovativ noch alternativlos ist. Es kann zudem zwar das Rückgrat einer rückwärtsgewandten Gesamtverkehrslösung sein, keinesfalls aber das einer MODERNEN. Der S-Link engt aus meiner Sicht zudem die Möglichkeiten einer modernen Stadtplanung und neuer Verkehrstechnologien dramatisch ein. Er ist zudem nicht nur extrem teuer für die erwartet bescheidenen Effekte, sondern auch unproduktiv und damit einer zeitgemäßen Verkehrslösung wenig dienlich. Es gibt nur zwei Gründe, die Regionalbahn-Trasse gegen Süden weiterzuziehen und damit ein zweites(!), dann paralleles und mit den bisherigen S-Bahnen nicht kompatibles Schienen- zum bereits bestehenden ÖBB-Netz zu eröffnen. Erstens, um Zukunftstechnologien in der städtischen Mobilitätsversorgung langfristig zu blockieren. Und zweitens, um der Salzburg AG auf den letzten Drücker noch ein Geschäftsmodell zu retten, das im urbanen Bereich „ganz alte Schule“ ist. Warum die Salzburg AG nicht auf neue Technologien im Stadt-Verkehr als langfristige Cash-Cow setzt, bleibt jenen, die sich ernsthaft mit Zukunftsfragen beschäftigen, wohl immer ein Rätsel.

Der S-Link dient bei der aktuellen Wahl aber als gutes Beispiel dafür, wie wenig „Zukunft“ die Kolleg*innen in den Wahlzentralen der Parteien am Hut haben. Auch wenn Schlagworte wie „modern“, „enkeltauglich“ und anderes gut Gemeintes die Parteiprogramme zieren, ich traue keinem und keiner zu, hier die Hand am Puls der Zeit zu haben. Auch nicht, künftige Generationen mit modernen, statt mit altbackenen Lösungsansätzen auf eine Reise in die Zukunft abzuholen.

Sie sehen: Ich persönlich tu mir echt schwer, mich inhaltlich für irgendeine Partei und deren konzeptionelle Zukunftsideen zu erwärmen. Klar, nicht zu wählen ist selbstverständlich keine Option. Nur dass dieses Mal „wählen um des Wählens willen“ angesagt ist, wohl wissend, dass sich keine der werbenden Parteien in einer ersten Runde als Zukunftsoption aufdrängen konnte. Das tut meiner Seele weh.

Salzburg, 3|2024 – Gerd

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