Margot

KOMMENTAR | Content-ID: 156|01 | Autor: Gerd | Stand: 12.9.2024
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Fremdgesteuert

Die Macht des Einfachen

Margot plappert nach! Ich wurde auf Margot vor einigen Wochen im Bus aufmerksam, als ich sie und eine Freundin bei einem Gespräch über die bevorstehenden Wahlen belauscht habe. Ungewollt, jedoch war ich, angesichts der Lautstärke der Unterhaltung, recht unmittelbar in die Diskussion eingebunden. Als sie ohne ihre Bekannte an der gleichen Station wie ich ausgestiegen und nicht weitergeeilt ist, habe ich sie angesprochen. Ich habe sie recht offen nach ihrer Meinung zur österreichischen Innenpolitik gefragt und bereitwillig Auskunft erhalten. Margot hat sich dabei als wandelndes Archiv politischer Marketing- und Stehsätze entpuppt. Als Argumente-Maschine, die sehr beeindruckend mit Polit-Worthülsen aus Print, Funk und Fernsehen über Fragen und Gegenfragen hinwegbraust. Dabei kamen nicht nur Argumente einer Partei zum Einsatz. Sie rezitierte alles, was eindringlich genug formuliert wurde – und zwar aus jeder politischen Ecke.

Diese, zugegeben imposante, kognitive Leistung des Aneignens und Ausspielens vielfältigster Informationen hatte nur einen Haken. Sie erzeugten kein „Big Picture“, kein vernetztes Bild eines stimmigen großen Ganzen. Die Flut an Botschaften unterschiedlichster Herkunft sammelte sich vielmehr in einem Becken unauflösbarer Dilemmata. Und sie blieben dort liegen, ohne dass der Versuch unternommen wurde, aus all diesen Fragmenten auch nur eine einzige Erkenntnis zu erzeugen. Im Gegenteil: Es kam vor, dass sich Margot in wenigen Sätzen gleich mehrfach widersprach, ohne dass es ihr (erkennbar) aufgefallen wäre. Vielleich lag das ja daran, dass sie zu den meisten dieser Erzählungen mit keinem eigenen Erfahrungsschatz aufwarten konnte. Sie schien sogar dankbar zu sein, dass prominente Personen mit ihren Erlebnissen aushalfen und sie selbst verschont geblieben war. Und dass sie sich deshalb keine Gedanken darüber zu machen brauchte, ob all das, was sie loswerden durfte, auch zusammenpasst.

So wurde der Klimawandel recht dramatisch als riesige Gefahr für die Menschheit dargestellt. Im fast selben Atemzug war jedoch die Rede von zu wenig Geld für wirksamen Klimaschutz und die nötigen Maßnahmen gegen die Klimafolgen. Der Staat hätte ja ohnehin keines, und noch mehr Schulden gefährden unseren Lebensstil. Deshalb müssten die reichen Menschen im Lande für mehr Klimagerechtigkeit sorgen. Aber auch für die Wirtschaft und unseren Wohlstand. Denn die Regierung hat gerade einmal genug Geld für den Sozialstaat, die Bildung, die Verwaltung, die Pensionen, den Bau von Straßen bzw. der Bahn oder die Zinsen der bisherigen Schulden. Jetzt macht aber unser aller Streben nach Wohlstand auch unsere Lebensräume kaputt. Vielleicht sollte dann doch das Geld dem Arten- und Klimaschutz gewidmet werden. Aber wer möchte schon ohne Wohlstand in einem Land leben, das ohnehin heiß werden wird, …

Diese, sich selbst widersprechende Argumentationskette, verlängerte sich gnadenlos und mündete erst nach 15 Minuten und einem hastig konsumierten Espresso abrupt mit der Feststellung Margots, dass sie gleich weitermüsse. Sprach’s, gab mir ihre Handynummer, bedankte sich und eilte einer Dame im mittleren Alter mit den Worten hinterher: „Hast schon g’hört, was der Kickl zum Kogler g‘sagt hat?“

Ich blieb nach diesem Schauspiel etwas verdutzt zurück und musste feststellen, dass meine weit aufgerissenen Augen bis an den Hornhautansatz ausgetrocknet waren. Es hat tatsächlich einen weiteren Espresso gebraucht, um mich in meine Welt zurückzuholen. Es ist eine Welt des Hörens, Verarbeitens, Verstehens, Abwägens und vor allem Vernetzens, in der ich tagtäglich versuche, mir meine eigene Meinung zu bilden. Es wurde mir aber auch wieder einmal bewusst, dass diese Welt nicht jene anderer Menschen sein muss. Es gibt viele, bei denen das automatische Verinnerlichen von oftmalig Wiederholtem das Bedürfnis aushebelt, zu verstehen. Ich nehme mich da selbst gar nicht aus – zumindest in Einzelfällen. Jetzt aber wird mir wieder klarer, warum Wahlkämpfe über Stehsätze und Worthülsen geführt werden und nicht über komplizierte Inhalte in komplexem Zusammenspiel. Gut, dass es Spin-Doktor*innen gibt, die wissen, wie sie uns mit wenigen, möglichst einfachen Sätzen anleiten können, das „Richtige“ zu tun.

Salzburg, 9|2024 – Gerd

PS: Ich verabrede mich mit Margot immer wieder mal. Meine Frau weiß übrigens davon. Und zwar treffe ich Margot dann, wenn ich mir eine der zahlreichen TV-Duelle der Spitzenkandidat*innen gespart hatte und doch wissen möchte, worüber geredet wurde.

Hinweis

Der Name von Margot und das Alter der Freundin wurde geändert.

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