Content-ID: 112|01 | Autor: Gerd | Stand: 29.12.2022
Ich wünsche mir
Brief an das Christkind
23.12.2022: Liebes Christkind! Ich hoffe, es geht Dir einigermaßen gut und Du bist auf den letzten Metern zum nahenden Fest anlässlich Deiner Geburt nicht noch krank, ausgebombt oder hingerichtet worden. Ich könnte es verstehen, wenn Du dieses Jahr die Feier einmal schwänzen würdest. Zumindest wenn Dir der Glaube an die Menschheit ebenso abhandengekommen ist wie mir. Nicht weil in weiten Teilen der Welt weiter und ohne Innehalten unterdrückt und gemordet wird. Auch nicht wegen des Zynismus, mit dem es sich die eine, die reiche Hälfte der Welt bequem auf dem Planeten einrichtet und für die andere, die arme Hälfte, nur geheucheltes Mitleid übrighat. Immerhin sind es auch diese Sünden, wegen derer Dich Dein Vater vor gut 2000 Jahren auf die Erde gesandt hat. Einer seiner wenigen Fehler, möchte ich hier anmerken. Denn gebracht hat es so gut wie gar nichts, so sehr Du Dich auch mühst. Es ist die gefühlt endzeitliche Erkenntnis, dass Bruder Optimismus und Schwester Gelassenheit diese Welt verlassen haben, die mich peinigt.
Bitte liebes Christkind, gib den Menschen den Glauben an das Gute zurück. An die Kraft, selbst etwas zum Besseren verändern zu können. Und die Zuversicht, gegen die Macht der selbstverliebten Führer*innen dieser Welt bestehen zu können. Zu viele haben vergessen, dass die Politik den Menschen zu dienen hat. Zu wenige halten noch daran fest, dass genau das, im Sinne des Weihnachtsfestes, ein Menschenrecht sein müsste. Und ich beschuldige damit nicht ausschließlich die antidemokratischen Regime im geographischen Osten. Nein, jene, die sich hinter moralistischer Deckung durch die Geschichte zu mogeln suchen, sitzen auch an den Rudern der „ersten“ Welt. Rote Linien über den halben Globus zu ziehen und doch nur das Wirtschaftswachstum der eigenen Nation im Auge zu behalten, ist nicht fair. Klar, es ist geboten, an Wladimir Putin die Schuld für fast 200.000 Tote im Ukrainekrieg festzumachen. Und trotzdem haben wir Westler, durch unsere Unfähigkeit, Fakten zu schaffen, deren Tod und noch viele kommende Morde, sehend in Kauf genommen.
Ebenso weigern wir uns, für die Armut vieler Völker die Verantwortung zu übernehmen. Ach, müssen wir auch nicht, meinst Du? Angesichts des Klimawandels, der Nachwehen des Kolonialismus und mangelnder Fairness gegenüber schwächeren Verhandlungspartner*innen, klingt das nach Ausrede. Wir sind in diesen Belangen eindeutig Täter*innen und nicht Opfer. Reue aber sieht anders aus! Ich habe irgendwie das Gefühl, auch die Politik des demokratischen Westens hüllt ihre Schutzbefohlenen in eine selbstherrliche Blase der Überlegenheit. Aus dieser heraus lassen sich hervorragend dramatische Erzählungen über den amoralischen Zustand des Restes der Welt platzieren. Und Aktionen setzen, die zwar große Aufmerksamkeit erzeugen, jedoch wenig Zählbares bringen. Zählbares im Sinne eines Gestaltungsauftrages, der eine lebenswerte Welt von morgen zum Inhalt hat. Ja, selbst in unseren Breiten klingt Informationspolitik mehr und mehr wie verzerrende Propaganda, um die Bevölkerung bei immer noch irrwitzigeren Eskalationsstufen einzelner Krisen auf Kurs zu halten. Ich wünsche mir daher von Dir, liebes Christkind, eine massive Stärkung der Zivilgesellschaft. Eine Pandemie von Optimismus und Gestaltungswillen, der die Bürger*innen dazu ermutigt, die Politik der schönen Reden, jedoch fehlenden Effizienz, vor diverse Parlamentstüren zu jagen. Die Menschen sollen sich quer über Staatsgrenzen und willkürlich gezogene rote Linien hinweg vernetzen und ihr Schicksal kollektiv selbst in die Hand nehmen können.
Für mich hingegen wünsche ich mir Gelassenheit. Jene Unaufgeregtheit, die es braucht, um trotz rabenschwarzer Zukunftsahnungen positiv im Leben verankert zu bleiben. Eine Art Pragmatismus, der es mir erlaubt, Unerwünschtes einfach nur zur Kenntnis zu nehmen, ohne mich herausgefordert zu fühlen. Wenn es mir gelingt, nicht mehr auf Provokationen einzusteigen und nicht mehr alle von meiner Sicht der Dinge überzeugen zu wollen, bin ich einen Schritt weiter. Dann werde ich wieder bereit dafür sein, mich der ersehnten gewaltfreien Revolution aller Menschen für eine lebenswerte Zukunft anzuschließen. Danke, liebes Christkind dafür, schon im Vorhinein!
Nachtrag vom 29.12.2022
Danke, liebes Christkind, dass Du trotz aller Verwerfungen auf dieser Erde doch am diesjährigen Weihnachtsfest teilgenommen hast. Und natürlich für das große, große Packerl Gelassenheit unter dem Christbaum. Ich habe es sofort ausprobiert. Und es wirkt! Nicht dass meine Sensoren nicht mehr anschlagen würden, wenn es in den Krisenherden der Welt oder im persönlichen Umfeld knirscht und knarzt. Es bringt mich nur nicht mehr aus der Fassung. Keine überbordende Empörung, keine aggressive Stimmung und vor allem keine Leerkilometer mehr für Anliegen, die nicht meine sind. Ich nehme ab jetzt vermehrt zur Kenntnis, lasse außen vor, was mir zuwiderläuft, und engagiere mich nur mehr für das, was mir wichtig ist. Klar gehören auch das Klima, der Frieden oder das Wohlergehen der Menschheit dazu. Aber auch ich selbst, meine Lieben und jene Menschen, deren Wege ich in Zukunft noch kreuzen werde. Dir und Ihnen allen eine noch besinnliche Zeit und ein gutes, selbstbestimmtes Jahr 2023.
Salzburg, 12|2022 – Gerd
Linktipps
Reinhard May und Freunde – Nein meine Söhne geb ich nicht: https://youtu.be/1q-Ga3myTP4 »
Link: https://www.derstandard.at/story/2000142024515/wie-man-mehr-ruhe-und-zuversicht-erlangt »
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