Fachkraft (c) unsplash

Content-ID: 051|01 | Autor: Gerd | Stand: 20.5.2021

Die Jagd auf Arbeitslose

Nach der Krise ist vor der Krise

Dass während Corona die Arbeitswelt in weiten Teilen ruhiggestellt wurde, war wohl unvermeidbar. Dass dabei aber auch auf einige brennende Themen am Arbeitsmarkt vergessen wurde, eher nicht. So knallt jetzt z.B. das Problem fehlender Fachkräfte – auch im Tourismus – mit voller Härte zurück auf die Verhandlungstische. Und es führt dazu, dass die WKO beinharte Attacken gegen Arbeitslose reitet. Verfügbare Arbeitskräfte sollen in Jobs gezwungen werden, die sie eigentlich nicht annehmen möchten. Konkret stehen dafür eine Reduktion von Leistungen für Langzeitarbeitslose und die Aufhebung von Zumutbarkeitsgrenzen zur Debatte. Was denken Sie: Sollen (Tourismus-)Fachkräfte jeden Job annehmen müssen, der Ihnen angeboten wird? Auch Jobs bei teils wenig attraktiven Arbeitgeber*innen, die womöglich 400 km entfernt, befristet und mit dürftigen Verdienstaussichten ausgestattet sind?

Ich habe dazu Peter, eine regelmäßig „saison-arbeitslose“ Fachkraft aus der Gastronomie um seine Sicht der Dinge gebeten. Dabei wird rasch klar, dass die Beschäftigungssituation im Tourismus von allen Beteiligten mehr Kreativität und Kompromissbereitschaft abverlangt als in anderen Branchen. Zum einen werden oft nur befristete Saisonjobs geboten, bei der eine Folge-Arbeitslosigkeit gleich mitgeplant werden muss. So ist es eine Tatsache, dass in alpinen bzw. ländlichen Regionen weniger Ganzjahresbetrieb herrscht als in Ballungsräumen. Für die Saisonkräfte dort ist es ungleich schwerer, einen festen Lebensmittelpunkt zu begründen. Ein fester Wohnsitz, eine feste Beziehung oder ein gewachsenes soziales Umfeld bleiben für ewige Saisoniers oft unerfüllte Sehnsüchte. Es ist daher kein Wunder, dass bei Menschen nach Jahren der Rastlosigkeit der Wunsch nach einem stabilen Lebensumfeld wächst. Auch deshalb, weil, umgerechnet auf ein Jahresgehalt, selbst ein fairer Lohn während der paar Arbeitsmonate durch die Folge-Arbeitslosigkeit rasch relativiert wird.

Nur nicht weiter wie bisher

Bei Peter erzeugt daher die aktuelle Diskussion um soziale Hängematte und Rosinenpickerei bei der Job-Vermittlung nur ein müdes Kopfschütteln. Besonders die Aufhebung der Zumutbarkeitsgrenzen für ein Ablehnen von Stellenangeboten geht für ihn irgendwie gar nicht. Einerseits ist der Mangel an Fachkräften kein neues Phänomen, dem man mit Akut-Maßnahmen begegnen müsste. Die Fehler der Vergangenheit können eben nur langfristig beseitigt werden. Und wenn Branchen dabei Hilfe brauchen, soll sie der Staat geben, nicht einzelne Arbeitnehmer*innen. Andererseits wäre es ein Mindestmaß an Fairness, die Bedürfnisse der Arbeitskräfte im Kontext zu ihren Lebensplanungen zu sehen. Anders als Tourismusbetriebe, sehen sie den saisonalen Rhythmus nicht als Wirtschaftszyklus, sondern als stets wiederkehrende Unsicherheit. Viele wollen ganzjährige Jobs, feste Arbeitszeiten, ein zukunftstaugliches Gehalt und ein freizeit- bzw. familienfreundliches Lebensumfeld. Sie fordern somit nur das, was in anderen Berufen gang und gäbe ist. Und die Wahrscheinlichkeit, es auch zu kriegen, ist nahe größeren Städten nun einmal größer als in der alpinen „Einschicht“. Damit unterscheiden sie sich nicht von jenen vielen jungen Menschen, die jedes Jahr aus dem ländlichen Raum in urbane Regionen abwandern. Weil dort die Chancen auf ein abwechslungsreiches, gutes und geregeltes Leben in Wohlstand nun einmal höher sind als zuhause.

Es hat nach Peters Meinung also gute Gründe, warum es so ist, wie es jetzt ist. Eine Lösung im Sinne aller Betroffenen braucht aber mehr als nur Forderungskataloge zulasten der jeweils anderen Seite. Es bringt zudem wenig, konstruierte Vorurteile mantraartig herunterzubeten. Es sind nämlich ebenso wenig alle Unternehmer*innen geldgierige, doppelzüngige Ausbeuter*innen, wie alle Beschäftigungslosen faul und arbeitsscheu sind. Hier wird eher die Minderheit zum medienträchtigen Feindbild erhoben, um teils überschießenden Forderungen einen Funken Legitimität zu verleihen. Die paar schwarzen Schafe auf Seiten der Arbeitgeber*innen bzw. Arbeitnehmer*innen wären eine überschaubare Belastung für das System, wenn es gelänge, die allgemeine Situation der Fachkräfte-Mobilität zu verbessern. Und das funktioniert eher durch Anreize als durch Drohgebärden. Denn langfristig führt Druck zu Ausweichreaktionen, á la Umschulung und Branchenwechsel. Damit verlassen Personen die Szenerie, die man ja eigentlich motivieren wollte.

Neue Ansätze, neue Motivation

Für (Tourismus-)Fachkräfte, die man locken möchte, braucht es intelligentere Methoden, als nur mit der Sanktionskeule zu drohen. Dazu hat Peter drei (sehr subjektive) Ideen im Köcher:

  • Warum keine mehrjährigen gut dotierten Verträge für Arbeitnehmer*innen, in denen die Fachkräfte über Kurzarbeit auch während der Tot-Saison liquide gehalten werden?
  • Ab einer Entfernung des Dienstortes von über 200 km zum ursprünglichen Wohnsitz doppelte Anrechnung der Zeiten für die Pensionsanwartschaft und Verdoppelung der geleisteten Pensionsbeiträge durch die Arbeitslosenversicherung.
  • Wenn gewünscht, volle Integration der Dienstnehmer*innen in die Ortsgemeinschaft, inklusive leistbarem Hauptwohnsitz, Wahlrecht, Sitz am Stammtisch, Bezug von gemeindeüblichen Leistungen, Aufnahme in Vereine, Nebenjobs u.v.m.

Auch wenn Peter beim letzten Vorschlag schmunzeln muss. Er trifft damit neben dem monetären einen weiteren Kern der Problematik. Saisonkräfte fühlen sich fallweise als Wanderarbeiter*innen oder Arbeitssklaven ohne Standing in der Ortsgemeinschaft. Zu Beginn der Saison sind sie heiß begehrt, am Ende aus den Augen, aus dem Sinn. Da bleibt wenig Gelegenheit, sich eine Lebensplanung zu gönnen. Das macht weniger, solange man jung ist. Wenn aber nach mehreren Saisonen Ruhe ins Leben einkehren soll, dann sollte das okay sein. Zumindest aber steigert das den Preis, zu dem man bereit ist, eine Runde im Hamsterrad anzuhängen. Und einer dieser Preise wäre es, die Landflucht durch den Zuzug von Arbeitskräften auszugleichen und weitgereiste Fachkräfte in die Gemeinschaft zu integrieren. Für heuer würde Peter absagen, er hat einen Job nahe Wien ergattert, der ihm bis Ende des Sommers 2022 garantiert wurde. Dann aber wäre er über Angebote froh, die ihn langfristig – vielleicht sogar für immer – in einen alpinen Tourismusort locken sollen.

 

Salzburg, 05|2021 – Gerd

Hinweise

Der Name von Peter ist aus Gründen des Datenschutzes geändert worden. Dass er „saison-arbeitslos“ ist, entspricht jedoch den Tatsachen. Das ist nicht seine Strategie, sondern die der wechselnden Arbeitgeber*innen in den Tourismusorten. Diese kündigen Saison-Angestellten oft mit dem ersten Tag nach Saisonende, um allfällige Lohnkosten auf den Staat zu überwälzen. Damit endet für ihn auch die Zeit des fairen Lohns, des Personalzimmers und des großzügigen Trinkgeldes, das von Arbeitgeber*innen oft als besonderes Zuckerl in Aussicht gestellt wird.

Alle ohnehin sensationell agierenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmer*innen – und deren gibt es tatsächlich sehr viele – sind von den beispielhaften negativen Darstellungen in diesem Beitrag selbstverständlich ausgenommen. Natürlich aber stehen auch ihnen die Tipps von Peter zur eigenen Verwendung offen.

WKO = Wirtschaftskammer Österreich