Kipppunkte

Content-ID: 104|01 | Autor: Gerd | Stand: 22.9.2022

Kipppunkte scherzen nicht

Jedes CO2-Partikelchen ist eines zu viel

Es scheint fast so, als dürfte die Politik, entgegen den Warnungen der Wissenschaft, doch zwischen gutem und bösem CO2 unterscheiden. Zumindest in gut gemeinten bzw. höchst verwerflichen Ausstoß von klimafeindlichen Treibhausgasen. Die Meinung jedoch, dass CO2, das wir heute ausstoßen, weil an anderer Stelle eh etwas gespeichert würde, unbedenklich wäre, lässt sich nur schwer argumentieren. Ebenso, dass investierte Treibhausgase, die helfen, in ferner Zukunft einmal mehr davon einzusparen, für eine nachhaltig positive CO2-Bilanz sorgen würden. Stimmt nicht! Das allgemeingültige Gegenargument zu diesen Behauptungen liegt in der drohenden Nähe krisenentscheidender Kipppunkte. Und dass es den Kipppunkten, die den Klimawandel zu einer rasenden, nicht umkehrbaren Katastrophe werden lassen, herzlich egal ist, mit welcher Bilanz Treibhausgase emittiert werden. Jedes CO2-Partikelchen mehr bringt uns dem KlimaGAU ein Schrittchen näher. Egal ob es beim Verfeuern von Öl, Gas, Holz oder bei der Gewinnung von Beton freigesetzt wird.

Aktuell kocht dieses Thema im Streit um die Förderbarkeit von Holz als nachhaltigen Brennstoff wieder einmal auf. Genauer gesagt um den Einsatz von Primär-Holz, das ausschließlich zum Verheizen gewonnen wird. In diesem Fall entsteht der direkte Ausgleich der CO2-Bilanz durch nachwachsende Wälder erst mit Verspätung. Zu spät, meinen Teile des EU-Parlaments, und wollen dafür Förderungen streichen. Für Holz, das z.B. für den Bau von Häusern oder Möbeln verwendet wird und das gespeichertes Kohlendioxid länger bindet, soll es hingegen weiter Geld geben. Dagegen regt sich hierzulande massiver Unmut. Trotzdem: Auch wenn in Österreich zurzeit mehr Wald nachwächst, als verarbeitet wird, braucht unsere Umwelt kein zusätzliches CO2.

Schon gar keines, das ohne Umwege, direkt vom Wald über den Ofen, in die Luft gelangt. Dann könnte man ja auch weiter Öl, Kohle oder Erdgas verfeuern. Auch das waren einmal pflanzliche Stoffe und haben das CO2 über Jahrmillionen gespeichert. Die Absage von EU-Förderungen für Primär-Holz als Heizmaterial ist daher nur die logische Konsequenz eines möglichst raschen Verzichts auf unnötige Treibhausgasemissionen. Dass das Verfeuern von Primär-Holz nicht gänzlich verboten wird, sondern gegen Entrichtung einer CO2-Abgabe (hoffentlich), jedoch ohne Förderung, als Geschäftszweig erhalten bleibt, ist Entgegenkommen genug. Auch deshalb, weil nicht der Preis, sondern nur die Versorgungssicherheit das Argument für das klimafeindliche Verfeuern von Pellets sein kann.

Kein Tunnel, wo nicht zwingend notwendig

Es entweichen aber auch Unmengen an Treibhausgasen durch nur vermeintlich nachhaltige Investition in die Zukunft. Dabei soll Infrastruktur geschaffen werden, die unserer Wirtschaft den Weg in eine Ära ohne Treibhausgase weisen soll. Nicht jedes der dabei angegangenen Projekte ist jedoch tatsächlich notwendig. Immerhin entstehen auch hier extreme Mengen an „Nice-to have“-Emissionen. Also CO2-Belastungen, die wir uns angesichts der nahenden Kipppunkte beim Klimawandel eher sparen sollten. Das geschieht vorrangig in der Bauwirtschaft mit ihrem überbordenden Bedarf an Beton. Hier stehen vor allem jene Projekte in der Kritik, die eher für das Image von Parteien und Politiker*innen, jedoch nicht für „alternativlose“ Lösungen drängender Probleme umgesetzt werden. Dabei handelt es sich primär um Tunnel-Bauvorhaben, die oberirdisch oft günstiger, schneller und vor allem emissionsärmer umzusetzen wären. So auch in Salzburg.

In der Stadt Salzburg wird aktuell die unterirdische Durchquerung der Innenstadt mit der Regionalbahn vorbereitet. S-Link heißt dieses Projekt, das zeigen soll, was heutzutage technisch möglich und politisch gewollt ist. Am Ziel, den öffentlichen Verkehr aus der Region direkt in und durch die Innenstadt zu leiten, um damit oberirdischen Individualverkehr obsolet zu machen, zweifelt niemand. Dass dieses Ziel aber auch durch mutige, moderne und vor allem klimabewusstere Planungsalternativen zu erreichen wäre, ist längst aus der öffentlichen Wahrnehmung gerutscht. Die Tatsache, dass der S-Link, so wie jedes Tunnelprojekt, Unmengen an Beton verschlingt, und damit auch gigantische Mengen an CO2 verursacht, sollte jedoch zu denken geben.

Es gilt auch hier der Grundsatz, jegliche Treibhausgasemissionen zu vermeiden, die uns näher an die Kipppunkte des Klimawandels bringen. Daher wäre es im Rahmen der Machbarkeitsstudien dieses Projektes auch sinnvoll gewesen, klarzustellen, mit wie viel Millionen Extra-Tonnen CO2 für den Bau gerechnet werden muss. Und natürlich, wie das Projektziel klimafreundlicher erreicht werden kann, ohne Jahrzehnte auf eine nachgereichte Klimabilanz warten zu müssen. Dazu fällt mir ad hoc ein: 

  • Es wird nur neuartiger Beton verwendet, bei dessen Herstellung kein CO2 emittiert wird. Auch wenn teuer: Hier entstehen bereits konkrete Angebote.
  • Es wird für die Klimabilanz ein realistischer CO2-Preis von mindestens € 65,-/Tonne in sofort wirkende Klimamaßnahmen investiert.
  • Salzburg wird autofrei, der S-Link wird oberirdisch geführt und für die nötige individuelle Rest-Mobilität wird ein ökologisch sinnvolles Konzept erarbeitet..

Klar wird es viele Argumente geben, warum der S-Link so und nicht klimafreundlicher gebaut werden muss. Auch jenes, dass längst an einer klimafreundlicheren Variante des Baustoffes gearbeitet wird. Mit durchaus vielversprechenden Aussichten, wie die aktuelle Marketingoffensive der Betonindustrie beweisen soll. Jedoch kann eine irgendwann positive CO2-Bilanz, nachdem das Klima gekippt ist, keine Option sein. Daher sollten Bau-Firmen und politische Parteien, die sich besonders zeitgeistig darstellen möchten, keinesfalls klimaschädlich projektieren dürfen, solange es Alternativen gibt. Denn bitte vergessen Sie nie: Kipppunkte unterscheiden nicht in gut gemeinte und böse Treibhausgase, sie kippen einfach!

Salzburg, 9|2022 – Gerd

Hinweise

Kipppunkte = Situationen, an denen Entwicklungen nicht mehr beeinfluss- und umkehrbar werden

GAU = größter anzunehmender Unfall

Primär-Holz = Vorrangiger Verwendungszweck frisch geschlägerten Holzes

Nice to have = englisch für „nett, aber nicht notwendig“

Obsolet = überflüssig

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