Peace

Content-ID: 093|01 | Autor: Gerd | Stand: 2.6.2022

Lahme China-Politik

Uiguren bitte warten

Kürzlich gelangten Dokumente an die Öffentlichkeit, die den brutalen Umgang Chinas mit der Volksgruppe der Uiguren im Nordwesten des Landes zeigen. Von 1 Million Gefangenen in Umerziehungslagern, von Folter, Unterdrückung und Mord war dabei die Rede. Von massiven Verletzungen der Rechte aber- und abertausender Menschen, die nicht ins Nationalbild der chinesischen Führung passen. Im Völkerrechtsjargon nennt man das Genozid, also die Auslöschung ganzer Volksgruppen. Dass diese Beweise jetzt an die Öffentlichkeit gelangen, mag Zufall sein. Oder aber gewollt, zu einer Zeit, in der der politische Westen auf den Krieg in der Ukraine blickt und andere Konflikte lieber unerwähnt lässt. So, als würde die Weltgemeinschaft nur drei Krisen gleichzeitig zulassen. Und das ist aktuell die Inflation, Corona und die Ukraine. Mehr geht nicht, mehr darf nicht sein.

Der Genozid an den Rohingya in Myanmar, der Bürgerkrieg im Jemen, die Hungerkrise in Zentralafrika oder eben die Uiguren in China stehen, wenn überhaupt, auf der Warteliste für internationale Aufmerksamkeit. Und sie werden es, je weiter von der europäisch-amerikanischen Wohlstandsachse entfernt, auch bleiben. Trotzdem war es irritierend, dass Europa erstaunt auf die aktuellen Enthüllungen reagierte und damit der eigenen „werteorientierten Außenpolitik“ eine klare Absage erteilte. Nur ja keine „neue Front“ im Kampf um den eigenen Wohlstand eröffnen. Immerhin sind Chinas Markt und Technologie bzw. Rohstoffe für die EU ein Vielfaches wichtiger als russisches Öl oder Gas. Ein paar grantige Worte auf diplomatischer Ebene müssen reichen, um der heimischen Öffentlichkeit Engagement vorzutäuschen. Hauptsache China bleibt bei Laune. Es darf daher niemanden verwundern, wenn sich eben diese „werteorientierte Außenpolitik“ letztendlich als Wahlkampf-Slogan für politische Schönwetterzeiten entlarvt. Dabei wären Rückgrat und Leadership, gerade in Krisenzeiten, von entscheidender Bedeutung.

Also, echt jetzt?

Blenden wir kurz zurück in den Februar dieses Jahres. Corona hieß damals Omikron. Putin ließ seine Truppen rund um die Ukraine aufmarschieren. Die Welt träumte vom Ende aller Liefer-Engpässe und die olympischen Winterspiele liefen pompös vom Stapel. Doch schon vor Olympia hatten NGOs, Expert*innen, Geheimdienste und Augenzeug*innen sehr eindringlich von der Situation der Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang berichtet. Und schon damals hätte geltendes Menschen- und Völkerrecht eine drastische Reaktion der „freien“ Welt gegenüber China gefordert. Die Zeit wäre für eine „werteorientierte Außenpolitik“ der führenden Nationen des demokratischen Westens mehr als reif gewesen. Geschehen aber ist nichts. Zumindest nicht viel. Olympia diente dem Image-Aufputz Chinas und sportliche Erfolge den europäischen Regierungen als Rechtfertigung für politische Ignoranz. Wenn jetzt, 4 Monate später, diese längst bekannten Verbrechen in den Amtsstuben der europäischen Außenpolitik für Erstaunen sorgen, läuft etwas gehörig falsch. Oder haben Österreich, Deutschland und die ganze EU tatsächlich geglaubt, Völkermord ließe sich klammheimlich aussitzen?

Ganz besonders Deutschland bleibt in diesem Zusammenhang einiges schuldig. Nicht weil gerade es, und niemand anderes, für das Wohl dieser Welt verantwortlich wäre. Dafür braucht es alle Staaten und Menschen. Sondern weil das deutsche Volk und die deutsche Regierung einen Führungsanspruch in der EU angemeldet haben. In einem Europa, das sich aktuell seinen Platz in der Weltgemeinschaft erobern muss. Sie reden davon, mit den USA, China und anderen Weltmächten auf Augenhöhe über die Zukunft der Welt mitentscheiden zu wollen. Sei es der Kampf gegen den Klimawandel, die Umsetzung von Wertestandards oder die Einhaltung von Menschenrechten. Deutschland hat dafür den Begriff der „werteorientierten Außenpolitik“ für sich vereinnahmt. Oder damit doch nur einen Claim erfunden, das nach ein paar Monaten im Kreuzfeuer der Krisen wieder in der Schublade verschwinden wird?

Ich unterstelle damit gar nicht, dass es kein grundsätzliches Bedürfnis gäbe, anderen Ländern als starke Industrienation in eine bessere, demokratische und faire Welt voranzugehen. So zumindest habe ich die deutschen Ansagen interpretiert. Ich erkenne jedoch auch, dass sich die historisch kraftvolle deutsche Außenpolitik längst zur Belehrungs-Diplomatie gewandelt hat. Dort, wo heute gefoltert, geschossen und gehungert wird, redet und redet und redet Deutschland. Die eigenen Leute genießen diese Art der politischen Selbstbefriedigung. Die deutschen Medien jubeln euphorisch, wenn Frau Baerbock wieder einmal „klare Worte“ zu irgendwas gefunden hat. Lediglich ändern lässt sich damit halt wenig. Zumindest nicht heute. Genau das aber wäre für mich der Kern einer „werteorientierten Außenpolitik“ – nämlich etwas zum Besseren verändern zu können. Das funktioniert meist, indem man etwas tut. Akzente setzt und nicht nur redet. Und dazu gehört nun auch einmal, China herauszufordern und dem uigurischen Volk aktiv zu Hilfe zu eilen. Und wenn die deutsche Außenministerin das eigene Volk und ganz Europa mit auf diese Mission nehmen muss, auch wenn es weh tut, sollte sie das tun. Also, worauf warten Sie noch, Frau Ministerin?

 

Salzburg, 6|2022 – Gerd

Hinweise

[Persönliche Meinung] Der Beitrag hat auch deshalb die Außenpolitik Deutschlands zum Inhalt, weil Österreich derzeit keine in nennenswertem Ausmaß betreibt. Früher, in der Zeit vor einem Außenminister Schüssel, galt Österreich als Vermittler in vielen Konflikten dieser Welt. Heute hat die österreichische Politik diese Rolle nicht mehr im Repertoire. Die Bedeutung Österreichs im internationalen Meinungsaustausch geht aktuell gegen Null. Österreichische Außenpolitik besteht offensichtlich nur mehr aus dem Sammeln von Flugmeilen und dem substanzlosen Bekunden von Solidarität mit Staaten, die sich das gefallen lassen. Für mich persönlich macht es eher den Eindruck, der Sessel des jetzigen Außenministers ist nur besetzt, damit es nicht direkt draufregnet. Das ist schade, ist aber so.

Rohingya = eine muslimische Volksgruppe in Myanmar (ehemals Birma)

Claim = werbewirksame Beschreibung