Machtspiele

Content-ID: 082|01 | Autor: Gerd | Stand: 27.1.2022

Machtspiele

Wie politisch darf Olympia sein?

Ab 4. Februar ist wieder angerichtet, für die Wintersportelite dieser Welt. Bis 13.3.2022 (inklusive Paralympics) werden dann die Besten der Besten und andere Athlet*innen in Peking auf die Jagd nach olympischen Ehren gehen. Und mit dabei, wie immer: jede Menge Nationalstolz der Fans zuhause und mediale Trittbrettfahrten für Politiker*innen und Prominente. Zwar sollte eigentlich der sportliche Wettkampf im Mittelpunkt stehen. Olympische Spiele haben aber seit jeher auch eine politische und gesellschaftliche Dimension. Dabei gilt: Je größer die Bedeutung als Bühne für Polit-Propaganda und ideologische Schlagabtäusche, desto stärker der Versuch, das zu leugnen. Das bewahrheitet sich (leider) auch dieses Mal. China hat, als Ausrichter-Nation der kommenden Spiele, augenscheinlich ganz besonders hohen Bedarf daran, diese Gelegenheit für grundlegende Imagearbeit zu nutzen – mit aller Gewalt! Kein Wunder also, dass es sehr sensibel darauf reagiert, wenn offen Kritik geübt wird.

Warum aber sollte es dieses Mal anders sein als beispielsweise 1936 in Berlin, 1980 in Moskau oder 1984 in LA? Der größte Sportevent der Welt bietet nun einmal die beste Gelegenheit, sich entweder ideologisch in Szene zu setzen oder demonstrativ Kritik zu üben. Das ist auch dieses Mal wieder so. Und so wie die geopolitische Lage aktuell umgekrempelt wird, braucht Peking jede Menge Hochglanz-Momente, um Sympathien zu keilen. Immerhin steht China wegen bösen Menschenrechtsverletzungen an Millionen von Uigur*innen arg in der Kritik. Ebenso wegen des Demokratieabbaus in Hongkong, Kriegsdrohungen gegenüber Taiwan oder territorialen Ansprüchen im südchinesischen Meer. Aber auch die Rolle Chinas beim Klimawandel und die ungebremste militärische Aufrüstung bereiten großes Unbehagen. Dazu kommen hegemoniale Ambitionen in den wichtigsten Rohstoff-Ländern Afrikas und wirtschaftliches Machtstreben an neuralgischen Knoten globaler Lieferketten. Übertitelt werden diese längst gestarteten geopolitischen Umbauarbeiten ganz offen mit einer langfristigen Strategie für die wirtschaftliche, militärische und ideologische Vormachtstellung des chinesischen Staates (nicht Volkes) weltweit.

Wie politisch muss Olympia sein?

Aktuell stellt sich auch die Frage, warum olympische Spiele an ein Land vergeben werden, dass in puncto Menschenrechte derart in Verruf geraten ist, wie China? Und, ob anhaltende Menschenrechtsverletzungen einen – zumindest diplomatischen – Boykott anderer Länder rechtfertigt?

Es stimmt schon: Nach Trump und trotz Putin China als das Böseste alles Bösen darzustellen klingt nach Paranoia und darf so nicht stehen bleiben. Selbstverständlich ist die Rolle Chinas als Mega-Player der Globalisierung und als Verhandlungspartner, auch der westlichen Welt, durchaus anzuerkennen. Dabei ausschließlich protektionistische Motive zu unterstellen wäre angesichts der extremen Vernetzung der Staaten, quer über den Globus, zudem nicht realistisch. Selbst China müsste, ohne eine positive Entwicklung des Restes der Welt, seine eigenen Wachstumspläne abschreiben. Es braucht also gute Kontakte zu den anderen Hauptakteur*innen des Weltgeschehens. Daher ist es umso wichtiger für die Führung in Peking, auch die positiven Seiten des Landes in die internationale Auslage zu stellen. Und olympische Spiele eignen sich nun einmal hervorragend dazu, ein Image der Offenheit und Gastfreundschaft zu vermitteln. Dass jetzt einige Nationen mit einem diplomatischen Boykott der Spiele das Bild stören, kann man jedoch unterschiedlich interpretieren. Die einen meinen, dass damit eine politische Dimension in die olympische Bewegung getragen wird, die kontraproduktiv wirkt. Die anderen sehen gerade darin eine Entpolitisierung der anstehenden Spiele.

Ich sehe das genauso. Dadurch, dass sich einige westliche Demokratien aus dem Propaganda-Schaulaufen herausnehmen, verlieren die Spiele an politischer PR-Power. Keine prominenten Polit-Akteur*innen, keine glamouröse Show, lautet die Strategie. Schade zwar, dass viel zu wenige Länder, insbesondere aus Europa, sich diesem stillen Protest anschließen wollen. Aber immerhin rücken damit die sportlichen Leistungen der Athlet*innen wieder stärker zurück in den Fokus der Berichterstattung. Und das wollen wir doch, wir sportbegeisterten Fans an den TV-Geräten, oder? Uns geht es um spannende Wettkämpfe, harte Duelle auf höchstem Niveau und den olympischen Geist ohne Polit-Aufmärsche. Es reicht ja, wenn sich die Athlet*innen nach getaner Arbeit ihren ministeriellen und präsidialen Segen bei diversen PR-Shows in der Heimat holen können. Den Sportler*innen wünsche ich deshalb nur gesunde, faire und erfolgreiche Spiele. Mögen Sie sich Ihre Träume erfüllen, Freundschaft erleben, Erfahrungen sammeln und Medaillen heimsen. Und bitte lassen Sie sich nicht für politisches Kleingeld auf der sportlichen Weltbühne missbrauchen.

Salzburg, 1|2022 – Gerd

Hinweise

Aufgrund anhaltender Verletzung von Menschenrechten durch China, haben sich u.a. USA, Kanada, Australien, Großbritannien oder Japan für einen diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele 2022 ausgesprochen. Dabei werden keine offiziellen Repräsentant*innen der Länder den Spielen und diversen Begleitveranstaltungen beiwohnen. Die EU gibt sich unentschlossen und in einigen Länder verzichten Politiker*innen „privat“ auf einen Besuch der Spiele – so auch in Österreich.

4. – 20.2.2022: Olympische Winterspiele in Peking

3. – 13.3.2022: Paralympische Winterspiele in Peking (olympische Spiele für Athlet*innen mit körperlicher Beeinträchtigung)

Hegemonie = griech. für „Führung“ = politische Vormacht eines Staates in einem anderen

Paranoia = das Gefühl verfolgt oder benachteiligt zu werden

Neuralgisch = besonders empfindlich