KOMMENTAR | Content-ID: 165|01 | Autor: Gerd | Stand: 9.1.2025
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2025 ist das Jahr des Perspektivenwechsels. Es gibt zu jedem Thema mehrere Sichtweisen, die es wert sind, vor den Vorhang geholt zu werden. Dieser Blog widmet sich daher ein Jahr lang der Herausforderung, sinnvolle und faktenbasierte Alternativen zum politischen Mainstream aufzuspüren, die helfen könnten, wachsendes Unbehagen wirksam einzuhegen.
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Wenn selbst die Brandmauer brennt
Mein persönliches Unwort der letzten Monate ist „Brandmauer“. Und zwar in dem Kontext, dass die zunehmend visionsbefreite politische Mitte protzt, sich und die Welt damit vor verhaltensauffälligen Extremen schützen zu wollen. Denn so wie Feuersbrünste zerstörerisch wirken, wirkt auch politischer Extremismus zerstörerisch auf zivilisatorische Errungenschaften. Frieden, Menschenrechte oder Rechtsstaatlichkeit sind solche Merkmale entwickelter Zivilisationen – ebenso wie Städte oder Infrastruktur, die mit Brandmauern geschützt werden müssen. Was aber, wenn die bisherigen Brandmauern gegen Rechtspopulismus aus leicht entzündlichem Material gebaut sind?
Klar, niemand würde ein Haus mit einer Wand aus vollen Benzinkanistern vor Flammen schützen wollen. Was jedoch gegenüber den Kräften der Natur meist als sinnvoll anerkannt ist, scheint in der Politik keine Gültigkeit zu besitzen. Im Gegenteil: Während lautstark gegen extremistisches Politpersonal Stimmung gemacht wird, finden deren zerstörerische Denkmuster längst Eingang ins Selbstverständnis der anderen Lager. So werden selbst in der politischen Mitte zunehmend die Arbeitslosen und nicht die Arbeitslosigkeit zur Gefahr für den Wohlstand umgedeutet. Oder es wird dem (zugegeben teuren) Sozialsystem die Schuld dafür gegeben, dass „die Wirtschaft“ mangels Staatsgelder keiner längeren Krise zu trotzen imstande ist. Auch Migration ließe sich – wenn alle wollten – anders lösen als über Pakte, die in zentralen Bereichen geltendes Menschenrecht unterlaufen. Europa könnte Donald Trump, Xi Jinping oder Wladimir Putin die Stirn bieten, ohne mit ihr voran in den Allerwertesten dieser Herren zu kriechen – doch es will nicht.
Die Politik jeder Couleur hat sich längst dafür entschieden, die ultra-vereinfachten Narrative der Populist*innen zu Allgemeingut zu erklären. Wer sich die jüngsten Wahl- und Regierungsprogramme quer durch Europa zu Gemüte führt, wird immer weniger Unterschiede zwischen den Erzählungen der Parteien vor und hinter der fiktiven Brandmauer gegen das rechte Lager finden. Besonders dort nicht, wo Bürger*innen auf eine nationale Einheit reduziert werden, konstruierte Feindschaften fehlende Lösungskompetenz ersetzen und Chancengleichheit die elitären Ambitionen Einzelner gefährdet. Kein Wunder also, dass sich nach den letzten Wahlen die Abgrenzung größerer Parteien gegenüber der extremen Rechten als wirkungslos herausgestellt hat. Die EU ist in populistischer Geiselhaft, Frankreich zittert, Deutschland redet sich das eigene Politchaos schön, und Österreich dreht auf den Hacken um und marschiert stramm in Richtung Vergangenheit.
Dass (fast) alle Konzepte gegen den Rechtsruck scheitern, ist dem Umstand geschuldet, dass zwischen den Wahlen die errungenen Stimmen den Parteien zur freien Verfügung stehen. So hat im Herbst 2024 die ÖVP nur mit der versprochenen Brandmauer gegen die FPÖ das prognostizierte Debakel abwenden können, um jetzt (möglicherweise) diese Extra-Stimmen zu nutzen, ebenjene FPÖ in die Regierung zu hieven. Dass dabei viele damals stragisch Wählende zu einer ideologischen Geisterfahrt gegen ihre politische Grundhaltung gezwungen werden, grenzt an Verarschung. Es macht aber auch den Ruf nach einer effektiveren Brandmauer gegen rechts lauter – einem Angebot, das vor demokratiefeindlichem Gedankengut schützt und nicht nur gegen unbequeme Parteien wirken soll. Solange es dieses nicht gibt, schlage ich vor, neben den deklariert nationalistischen auch jene Parteien zu meiden, die trotz angekündigter Brandmauer den Populistinnen ungeniert die Steigbügel halten.
Was aber ist in diesem Beitrag jetzt der versprochene Perspektivenwechsel? Ganz einfach: Ohne die (türkise) ÖVP hätte der Rechtsruck in Österreich Grenzen. Sie, die ÖVP, ist das fehlende Bindeglied der FPÖ zur Machtergreifung im Land. Damit erklärt sich auch die aktuelle Koalitionsscharade in Österreich wie von selbst. Denn was, wenn die ÖVP die ersten 3er-Gespräche deshalb im Schritttempo an die Wand gefahren hätte, um Zeit für mehr Akzeptanz für Blau-Schwarz zu gewinnen …
Ihr Gerd Sendlhofer
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