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KOMMENTAR | Content-ID: 117|01 | Autor: Gerd | Stand: 9.3.2023

Nur keine Alten!

Rechenbeispiele am Arbeitsmarkt

Aktuell feiern sich die Ideen-Börsen in der Politik und Wirtschaft für die Erkenntnis, dass zur Linderung des Fachkräftemangels auch ältere Bewerber*innen herangezogen werden könnten. Länger arbeiten, ältere Personen einstellen – dass da noch niemand draufgekommen ist. Und theoretisch bringt diese Rechenaufgabe, nämlich „wie viele ältere Bewerber*innen gibt es, um den bösen, bösen Fachkräftemangel zu lindern“, stets ein höchst positives Ergebnis. Also, hoch die Tassen, Problem gelöst! Lediglich lautet das praktische Endergebnis dieser Rechnung immer NULL. Vielleicht deshalb, weil das Ergebnis aus oben beschriebener Situation noch mit einem Faktor multipliziert werden muss. Dem Faktor, der die Bereitschaft der Unternehmen ausdrückt, ältere Personen überhaupt rekrutieren zu wollen. Und dieser Faktor lautet derzeit NULL. Deshalb ergeben beispielsweise 200.000 ältere Facharbeitskräfte mal NULL Bereitschaft, diese im Betrieb aufzunehmen, auch NULL Linderung des Fachkräftemangels.

Noch ein Beispiel gefällig? Auch ich bin schon länger auf der Suche nach einem Job, zumindest für die kommenden zwei bis drei Jahre – gerne aber auch darüber hinaus. So wie bei vielen Menschen, hat es auch bei mir gute Gründe, mich ergänzend zum bisherigen Berufsleben neu zu orientieren. Es sind wirtschaftliche Gründe, aber auch welche mit sozialer Note. Einerseits möchte ich nach gefühlt ewigem Homeoffice (23 Jahre) endlich wieder mehr unter die Leute kommen. Und andererseits suche ich, neben der Arbeit an meinem Buch-Projekt, nach einem Einkommen, das mir dafür Freiräume schaffen soll. Ich bewerbe mich daher regelmäßig auf Teilzeit-Jobs in meinen Fachgebieten. Das wiederum zu Bedingungen, die jenen der potenziellen Arbeitgeber*innen deutlich näher liegen als meinen Möglichkeiten. Ich sehe mich zudem nicht nur als Fachkraft, ich bin tatschlich und nachweislich eine in mehreren Mangelberufen und gehöre damit einer Spezies am Arbeitsmarkt an, die theoretisch immens nachgefragt sein soll. Und als 57-Jähriger rechne ich damit, den Unternehmen noch 8-10 Jahre produktiv zur Verfügung zu stehen, wenn‘s gewünscht ist. Soweit die Textaufgabe für Personal-Verantwortliche und Firmen-Bosse. Die versteckte Frage darin lautet: Welche Chancen hat ein Bewerber wie ich, wenn die Auswahl an fachlich vergleichbaren Personen am Job-Markt sehr, sehr dürftig ist? Meiner Erfahrung nach: NULL Chancen.

Zu alt darf es nicht heißen!

Glaubt man den immer sehr rasch eintrudelnden Absagen der Personaler*innen, scheint es jede Menge besserer Bewerbungen als meine zu geben. Teils auf Jobs, die mangels tatsächlicher Besetzung noch bis zu 9 Monate danach wieder und wieder neu ausgeschrieben werden. Vielleicht aber liegt es daran, dass sie mich als Person ablehnen. Klar, ich finde nicht, dass ich ein Arschloch bin, aber wer kann in die Köpfe anderer schauen? Wenn ich also nicht gemocht werde, ist das anzuerkennen. Nur keine*r sagt’s mir, damit ich mich erklären könnte. Auch das Argument, ältere Mitarbeiter*innen wären zu teuer, ließe sich durch eine passende Vereinbarung und die Zuschüsse vom AMS ausräumen. Was aber nie in den knapp gehaltenen Absage-Texten vorkommt, ist, dass ich einfach zu alt bin. Denn das wäre strafbar. Vielleicht gelte ich gar nicht als zu alt für den Job, denn zusätzlich zu einem (brandaktuellen) Ausbildungsstand kommt noch lange praktische Erfahrung hinzu. Nein, ich meine zu alt für das Team. So als würden Alte nicht fähig sein, sich einzugliedern. Oder per se Unruhe stiften und dem jungen, vitalen Nachwuchs den Weg verstellen. Also lieber keine Fachkräfte als ältere Besserwisser*innen mit modrigem Geruch und knackenden Knochen. Noch dominiert wohl die Hoffnung bei den Unternehmen, dass der Personalmangel allein mit dem weisen Rat der Politik, doch ältere Fachkräfte zu reaktivieren, zu lösen wäre. Und zwar nach dem Floriani-Prinzip. So als würden, wenn andere Betriebe vorzeitig einknicken und die greisen Bewerber*innen einstellen, danach die guten jungen in den Ring steigen. Ganz nach dem Motto, wer sich als erstes rührt, der kriegt die Greise.

Sei es so, wie es ist. Da ich zu Weihnachten einen Riesensack Gelassenheit geschenkt bekommen habe, schaffe ich es auch, mit dieser Situation gut umzugehen. Nicht dass ich mich auf Job-Suche nicht oft gekränkt und unter Wert geschlagen fühlen würde. Und auch nicht, dass mehr und mehr arbeitssuchende ältere Fachkräfte dieses Gefühl, nämlich nur des Alters wegen diskriminiert zu werden, bestätigen. Es liegt nicht an mir, hier die Vorurteile in den Führungsetagen und Personalbüros diverser Firmen auszuräumen. Es sind sie selbst, die ihren Bossen irgendwann erklären müssen, das volle Potenzial des Unternehmens nicht ausgeschöpft zu haben. Und zwar nicht wegen Fachkräftemangels, sondern wegen einer unerklärlichen Abneigung gegenüber älteren Mitarbeiter*innen.

Aber, wenn jemand jemanden kennt, der mit einem Vollprofi im besten Leistungsalter, gerne zu moderaten Bedingungen, zusammenarbeiten möchte: bitte melden ?!

Salzburg, 3|2023 – Gerd

Hinweise

Ein Schmankerl aus meiner Job-Suche: Die schnellste Absage zu einer Mail-Bewerbung auf einen Job, für den ich (wahrscheinlich bis auf das Alter) alle geforderten Eigenschaften mitbringe, kam nach Time-Stamp gemessenen 8 Sekunden. Und zwar mit der Begründung, sie wären nach eingehender Prüfung meiner Unterlagen und reiflicher Überlegung zu dem Schluss gekommen, dass andere Bewerber*innen noch besser auf den Job passen würden als ich. So als hätte ein Algorithmus mein Alter im Lebenslauf entdeckt und automatisiert, jedoch zu früh die Antwort versandt. Soweit zu KI bei der Personalauswahl.

Time-Stamp = Zeitstempel, z.B. als dokumentiertes Versanddatum einer Mail

KI = künstliche Intelligenz

AMS = Arbeitsmarktservice

Floriani-Prinzip = Strategie, Bedrohungen nicht selbst zu lösen, sondern auf andere zu verschieben: „Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd’s andere an!“

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