Content-ID: 095|01 | Autor: Gerd | Stand: 23.6.2022
Preisturbo
Just part of the game
Die ganze Welt stöhnt unter den Folgen explodierender Preise von Waren und Dienstleistungen. Inflation nennt sich dieses Schreckgespenst der aktuellen Krisen-Szenerie. Die Kosten fürs tägliche Leben gehen durch die Decke. Die Produktion und die Bereitstellung von Gütern werden immer teurer. Dinge, die jahrelang als selbstverständlich galten, werden knapp und geraten zunehmend aus der finanziellen Reichweite williger Käufer*innen. Das betrifft Lebensnotwendiges genauso wie „Nice–to–have–“- und Luxusgüter. Geliebte Gewohnheiten, ersessene Rechte, lukrative Jobs und letztendlich auch Existenzen geraten massiv in Gefahr. Kein Wunder also, wenn die Rufe nach staatlichem Einfluss lauter werden. Ob über direkte Zahlungen oder durch regulierende Eingriffe in die Preisrallye, der Staat muss helfen. Zumindest verlangt die Öffentlichkeit das. Die Hysterie ob der grassierenden Inflation nimmt langsam schrille, ja verzweifelte Züge an. So als ob das, was wir jetzt erleben, nichts wäre, mit dem wir ohnehin hätten rechnen müssen. Ist es aber!
Lehnen Sie sich doch kurz zurück und versuchen Sie das große Ganze, das jetzt passiert, zu fassen. Lassen Sie dabei Emotionen und Ansprüche außen vor und konzentrieren Sie sich auf die Fakten. Die Marktwirtschaft, wie die globalisierte Welt sie heute zelebriert, kennt nicht nur die wundersame Geldvermehrung über Angebot und Nachfrage. Wachstum und Wertschöpfung stehen gewaltige Risiken für diverse Marktversagen gegenüber. Aktuell sind es Corona, der Ukraine-Krieg und Knoten in den globalen Lieferketten. Vor einigen Jahren war es ein Crash in der Immo-Branche. Wieder davor haben platzende Spekulationsblasen in der IT-Szene riesige Vermögen vernichtet. Und morgen werden es andere Verwerfungen sein, die unsere Grundfesten des Wohlstands erschüttern. Denken Sie an die Klimakrise, neue Kriegsschauplätze, Handelsbarrieren, kollabierende Staatshaushalte oder Donald Trump. Die Gefahr, dass sich das, was Sie besitzen oder für die Zukunft geschaffen haben, in Luft auflöst, war und ist immer da. Mal mehr, wie heute, mal weniger, wie in den Wiederaufbaujahren nach dem 2. Weltkrieg. Also: Bitte Ruhe bewahren und tief durchatmen. Außer Jammern können Sie ja doch nichts tun, oder?
Mitschuld an der derzeitigen Teuerungsphase sind auch die explodierenden Preise für Energie. Das betrifft Sie als Konsument*in nicht nur beim Bezahlen der Strom-, Heizungs- oder Tankrechnung. Auch fast alle Waren oder Dienstleistungen werden über kurz oder lang mit höheren Energiekosten kalkuliert werden müssen. Das fordert der Grundsatz der „unternehmerischen Vorsicht“ von den Chefinnen und Chefs. Und das ist gut so. Verdienen an den steigenden Energie-Preisen werden hingegen jene Länder, welche die steigende Nachfrage bedienen können. Dazu gehört ganz besonders Russland mit seinem Gas bzw. Öl. Aber auch alle Konzerne, die mit Energie handeln bzw. sie verteilen, profitieren von jeder Preiserhöhung. Dazu kommen Staaten, die über anteilige Steuern Mehreinnahmen lukrieren. Und natürlich alle jene Eigentümer*innen, die Kapital in der Energie-Industrie gebunkert haben. Das sind wiederum Staaten, Bundesländer und Gemeinden. Aber auch Pensionsfonds, Spar-Fonds für Groß- und Kleinanleger*innen u.v.m. Sie sehen: Das Geld, das Ihnen abgeknöpft wird, wird anderorts wiederum verdient. Meist von „gierigen“ Konzernen, aber durchaus auch von Ihnen. Direkt, weil es Entlastungspakete finanziert. Und weil Ihr Erspartes irgendwo drinnen steckt, wo es an die Rendite von Energie-Konzernen gekoppelt ist. Indirekt, weil z.B. die längst fällige Transformation der Energie-Märkte hin zu grün und nachhaltig endlich aus den Startlöchern kommt.
Den Profiteur*innen der Teuerung stehen eine ungleich größere Menge an Betroffenen gegenüber. Das sind in erster Linie jene Menschen, die zunehmend lebenswichtige Produkte und Leistungen nicht mehr kaufen können. Wenn Betriebs- und Lebenshaltungskosten das Einkommen übersteigen, geraten Menschen schlichtweg in Not. Nicht von ungefähr rechnen NGOs aktuell mit einem starken Anstieg von Hunger, Armut und Armuts-Gefährdung, hier und auf der ganzen Welt. Das sind meist auch Menschen, die seit jeher dem System der freien Marktwirtschaft ausgeliefert waren, ohne es nutzen zu können. Personen, die selbst in guten Zeiten nicht investieren, sparen oder etwas mit Wert erwerben konnten. Leute, die jetzt nichts haben, mit dem sich die Krise aussitzen lässt. Wenn also diese Gruppe nach staatlicher Hilfe ruft, geht das ungeschaut in Ordnung. Wir als entwickelte Gesellschaft müssen es uns leisten können, Menschen in Not unter die Arme zu greifen. Was hingegen nicht ins Bild passt, sind die vielen aktiven Nutznießer*innen der freien Marktwirtschaft, die jetzt quengeln. Jene, die über kapitalismus-freundliche Kanäle an üppige Finanzpolster und satte Vorsorge-Modelle gelangt sind. Sie sollten das Spiel eigentlich kennen: Ihre Erträge aus guten Zeiten stehen den Verlusten aus schlechten gegenüber. Der Gewinn ist nämlich erst das, was als Saldo übrigbleibt. Sie haben die Märkte gemolken, solange sie gut im Saft standen. Sogar oft auch auf Kosten anderer. Also leben Sie auch damit, dass Sie anpacken müssen, wenn es knirscht im Gebälk. Jetzt nach üppigen Staatshilfen zu rufen wäre fast unverfroren. Dieser Ruf nach staatlichem Einfluss widerspricht zudem der kapitalistischen Forderung nach freier Hand, wenn die Märkte brummen.
Ändern Sie es!
Das bedeutet nicht, dass Sie die hohen Preise kritiklos akzeptieren müssen. Warten Sie nicht auf Rettung, tun Sie doch selbst etwas dagegen. Lassen Sie das Auto einfach stehen und reisen mit der Bahn. Kaufen Sie fair und bio, nicht trotz, sondern weil die Kalkulationen der Erzeuger*innen derzeit durch die Decke gehen (müssen). Investieren Sie jetzt in den Umbau der Energie-Branche auf Nachhaltig, anstatt den schnellen Profit bei Gas- und Öl-Multis zu suchen. Kaufen Sie mit kürzeren Lieferwegen, urlauben Sie daheim und bringen Sie Ihr Erspartes endlich unter die Leute. Verorten Sie nicht überall eine üppige Rendite-Erwartung. Sorgen Sie lieber dafür, dass regionale Betriebe Umsätze machen können und die Menschen Ihren Job behalten. Vor allem aber sorgen Sie dafür, dass Staaten und Unternehmen AB SOFORT mehr auf Sicht wirtschaften. Das heißt, extreme Abhängigkeiten auflösen und künftig vermeiden, sich weise, auf Augenhöhe vernetzen, Alternativen bieten und wesentliche Grundleistungen bei Bedarf selbst erbringen. Der effektivste Ansatz gegen die Auswirkungen globaler Krisen liegt zudem in der Produktivität und der Widerstandsfähigkeit der Kleingruppe. Stärken Sie daher auch die Kraft Ihres Grätzels. Selbst Energie oder Lebensmittel produzieren zu können, ist dabei erst der Anfang. Aber einer, den wir jetzt machen könnten, wenn wir wollten!
Salzburg, 6|2022 – Gerd
Hinweise
Just part of the game = englisch für „nur Teil des Spiels“
Nice to have = englisch für „nett, aber nicht notwendig“
Saldo = Differenz zwischen Gewinnen und Verlusten
Grätzel = wienerisch für nachbarschaftliche Umgebung
Linktipps
Die Presse (nur mit Abo): https://www.diepresse.com/6148505/wie-teuer-wird-es-werden »
Der Standard: https://www.derstandard.at/story/2000136402660/sparen-im-alltag-wie-unnoetige-kosten-vermieden-werden »
TAZ: https://taz.de/Mangelwirtschaft-und-Inflation/!5855499/ »
ORF – KEINE SPUR VON KRISE, Heimische Privatvermögen stark gestiegen: https://orf.at/stories/3270281/ »