Content-ID: 045|01 | Autor: Gerd | Stand: 8.4.2021
JA, wir sind so!
Ist Netzwerken die Vorstufe zu Korruption?
box = nähere Details finden Sie in der Fakten-Kiste am Ende dieses Beitrags.
Gott sei Dank: Es gibt endlich Ablenkung von Corona! Nach langwieriger Ausschuss-Arbeit zu Ibiza und einigen brandaktuellen Korruptionsvorwürfen hat Österreich die Chance auf echte Skandale. Dabei handelt es sich um keine Manöver, mit denen politische Drecksarbeit verrichtet werden soll. Nein, hier ist „Kacke“ massiv am Dampfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Macht missbraucht und das Volk an der Nase herumgeführt wurde, ist so hoch, dass bereits Untersuchungen dazu laufen! Ob aber etwas dabei herauskommt, ist ungewiss. Nicht weil der Rechtsstaat wieder einmal zu zahnlos sein könnte. Eher deshalb, weil kein Interesse der Bevölkerung an einer Aufklärung der Affären und der Entlarvung unlauterer Netzwerke und Seilschaften zu erkennen ist. Aber warum das?
Ich habe deshalb Josef gebeten, das Thema Netzwerken auf positive und negative Effekte abzuklopfen. Josef beschäftigt sich professionell mit „Networking & Corruption“. Folgt man seinen Ausführungen, haben Netzwerke allgemein in unserer Gesellschaft mehrfache Bedeutungen für deren Mitglieder. So geht es für viele Personen um die Teilhabe an Systemen, die ihnen ohne Mitgliedschaft verwehrt blieben. Das eröffnet ihnen Chancen und Rechte, die sie sich selbst ungleich mühsamer erarbeiten müssten. Zu investieren ist dafür oft nicht mehr als bedingungslose Loyalität. Diese kann missverstanden, sogar bis zu Vetternwirtschaft und Korruption führen. Netzwerke taugen aber auch dafür, individuelle fachliche Defizite auszugleichen. Gut vernetzt zu sein, hat in Teilen unserer Berufswelt oft mehr Bedeutung als Expertise. Daher legen Job-Beratungen ihren Fokus fallweise mehr auf die Kontakte von Kandidat*innen als auf deren Ausbildung und Berufserfahrung. Zahlreiche Kontakte stehen allgemein für „Vertriebsprofi mit vielen potenziellen Kund*innen“. Und viele „C“-Kontakte (z.B. CEO) erhöhen die Chance auf eine Führungsposition.
So tauchen immer wieder Personen auf Minister*innen-Listen oder in Konzern-Vorständen auf, die es fachlich nie dorthin geschafft haben dürften. Hier sei, auf Josefs Wunsch, darauf verwiesen, dass es sich dabei um kein rein aktuelles Problem handelt, aber auch. Heute, wie auch schon früher, stehen bzw. standen einige Regierungsmitglieder und Wirtschaftskapitän*innen diesbezüglich in der Kritik. Zwar gilt zu allen Fällen die Unschuldsvermutung. Dass aber zahlreiche Fehlbesetzungen von hohen Posten den Gepflogenheiten einschlägiger Netzwerke geschuldet waren und sind, scheint zumindest wahrscheinlich. Derartig rosige Karriereperspektiven führen auf allen Ebenen dazu, dass sich Menschen mit eher bescheidenen Profilen erfolgreich um lukrative Jobs bewerben. Immer darauf vertrauend, jemanden zu erreichen, zu dem man eine Netzwerkbeziehung pflegt. Oder zu suggerieren, eigene Netzwerke als Nachweis beruflicher Reichweite mit an die neue Wirkungsstätte bringen zu können.
Eine*r für alle, alle für eine*n
Dieser Netzwerk-Glaube ist in Österreich (und vielen anderen Ländern) seit langer Zeit etabliert. Schon in der Monarchie waren Beziehungen der Schlüssel zum Erfolg. Aber auch Studierenden-Verbindungen, Berufsverbände, Interessensvertretungen und politische Parteien sind im Kern Treue-Gemeinschaften. Und selbst das „Inkorporieren“ von Mitarbeiter*innen, Kund*innen und Wähler*innen in betriebliche und politische Wertewelten erfüllt einen ganz bestimmten Zweck. Es hat zum Ziel, die Bereitschaft für Gegenleistungen zu erhöhen. Positive Aspekte sind der Kauf von Produkten oder die Wahl einer Partei. Im Negativ-Fall geht es um die Akzeptanz von steigenden Preisen, Qualitätseinbußen, Verstößen gegen gesellschaftliche Konventionen oder auch Günstlingswirtschaft und Korruption. Allerdings ist das Sichern von Loyalität und Vertrauen über Netzwerke weder verwerflich noch strafbar. Es ist legitim und oft sogar erforderlich, Positionen mit Personen zu besetzen, mit denen man konfliktfrei und effektiv zusammenarbeiten kann. Dafür haben sich entwickelte Gesellschaften auf ein Regelwerk geeinigt, das Missbrauch vorbeugen soll. Dabei spielen anerkannte Konventionen wie Chancengleichheit, Fairness, Transparenz oder Unbestechlichkeit die zentrale Rolle.
Das wiederum hindert nicht alle daran, diese Regeln zu umgehen bzw. zu brechen, um sich ungerechtfertigt Vorteile zu verschaffen. Aktuell hat in Österreich eine erkleckliche Anzahl an Verdachtsfällen von Korruption und unethischem Verhalten dieses Thema wieder nach oben gespült. Die Palette reicht von Postenschacher, über die Weitergabe von Ermittlungsdaten, bis hin zu verdeckten Finanzströmen in Richtung Parteien und Vorfeld-Organisationen. Nicht alle dieser Fälle werden strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Die meisten davon aber zeugen von hoher moralischer Flexibilität, wenn es darum geht, Verfehlungen legitim zu reden. Immerhin geht es nicht nur um Personen, die Stellen innehaben, die sie aus fachlicher Sicht nicht bekleiden dürften. Es geht vielmehr um jene Personen, die ihren Job missbrauchen, um sich und Netzwerk-Freund*innen fragwürdige Vorteile zu verschaffen.
Wo bleibt die Empörung?
Bemerkenswert dabei ist die ausbleibende Empörung in der Bevölkerung. Es scheint fast so, als wünschte sich die Mehrheit der Österreicher*innen, dass die teils abenteuerlichen Ausreden der Betroffenen wahr wären. Und dass rechtlich nur schwer zu ahndende Vergehen, wie fragwürdige Postenbesetzungen oder Unregelmäßigkeiten in Parteifinanzen, auch ethisch legitimiert wären. Nämlich damit, dass es „immer schon so gelaufen wäre“ und es „die anderen auch so handhabten“. Hier kommt unverhohlen ans Tageslicht, dass nicht nur die Verdächtigen, sondern auch wir Wähler*innen dieses System verteidigen. Wir tun das, weil wir alle an anderer Stelle von ähnlichen Strukturen profitieren. Wie bereits weiter oben angemerkt, ist die Kraft einschlägiger Netzwerke Bestandteil fast jeder Karriere- und Lebensplanung in unserer Gesellschaft. Dass dabei auch ethische Grenzen verschoben sind und man ins Illegale abrutschen kann, wird hingenommen. Vieles ist zumindest so lange okay, solange man selbst davon profitiert. In Österreich hat sich während der Monarchie dafür der Begriff „Kavaliersdelikt“ (auch Bagatelldelikt) etabliert. Dieser besagt, übertragen in unsere Zeit, dass ein Vergehen dann nachgesehen werden sollte, wenn der Schaden für die Beschuldigten höher als jener durch die Tat selbst einzustufen wäre. Fragt man also gelernte Österreicher*innen, dann könnte man ruhig ein Auge zudrücken, wenn z.B. Minister*innen Geschenke annehmen, dem eigenen Netzwerk Vorteile verschaffen oder Wunsch-Gesetze erlassen.
Es gibt Länder, in denen Politiker*innen gefeuert werden, wenn auch nur der Verdacht der Korruption besteht. So hat eine Corona-Masken-Affäre im deutschen Bundestag ratzfatz zum Rücktritt zweier Abgeordneter geführt. Oder Frankreich, wo sich das Volk gegen Korruption regelmäßig auf der Straße trifft und Ex-Präsidenten verurteilt werden. Reaktionen aus der Bevölkerung auf Korruptionsfälle kommen auch in einigen afrikanischen Staaten, Ostasien oder Teilen Südamerikas. Nur in Österreich lassen sich selbst begründete Verdachtsmomente gut und lange aussitzen. Wir, das Volk, nehmen lieber das Risiko in Kauf, dass dem Staat und der Demokratie nachhaltiger Schaden zugefügt wird. Dabei sollten wir eigentlich auf Transparenz im politischen System und die Integrität der handelnden Personen bestehen. Auf meine abschließende Frage, ob wir in Österreich also ein reales Problem mit Korruption haben, hat Josef zwei Antworten:
- „Einerseits funktioniert zwar unser Rechtsstaat, auch wenn offensichtlich noch viel in rechtlichen und öffentlichen Graubereichen agiert und getrickst werden kann.
- Andererseits braucht es aber viel mehr Druck seitens der Bevölkerung auf die Parteien, sich auf eine transparente und untadelige politische Kultur zu einigen.“
Danke, Josef!
Salzburg, 04|2021 – Gerd
Hinweise
Der Name von Josef wurde aus Gründen des Datenschutzes geändert.
Networking & Corruption = Netzwerken und Korruption (Bestechlichkeit)
„C“-Kontakte = „Chiefs“ = z.B. CEO (Chief Executive Officer) = Geschäftsführer*in
Inkorporation = medizinisch für die Aufnahme körperfremder Stoffe | Marketing: Einbindung in eine Organisation
Gesellschaftliche Konventionen = gemeint sind Wertehaltungen wie Umwelt- und Klimaschutz, Fairness, Menschenrechte etc.
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