S-Link EXTRA | F | Faktencheck

Autor: Gerd Sendlhofer | S-Link Beitrag 29 | 6.10.2024
Dieser Blog-Beitrag spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider. Für Ihren Informationsstand und persönliche Sicht der Dinge sind und bleiben Sie selbst verantwortlich.

Push-Mythen

Politik im Befehlston

Eine der größten Kritikpunkte am Salzburger S-Link ist, dass dessen üppig angekündigten positiven Effekte eher bescheiden ausfallen würden. Klar, es gibt Studien, die beweisen, dass es klappen könnte, wenn alle wollten. Keine dieser Studien lässt jedoch den Schluss zu, dass alle wollten. Schlimmer noch: Mit jedem neuen Marketingversprechen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass hier Wunschdenken statt Realitätssinn regiert, wenn es darum geht, tatsächlich Menschen in die Züge zu bringen.X) Was also, wenn die Strategie „Angebot schafft Nachfrage“ scheitert und abgesehen von den Tagesrandstunden der S-Link halb bis ganz leer durch die Stadt tingelt?X) Das nämlich wäre, abgesehen von den dann fehlinvestierten Milliarden, auch in Bezug auf die laufende wirtschaftliche Ausgestaltung des gesamten öffentlichen Verkehrs ein grobes Foul an den Bürger*innen der Stadt.X)

Warum aber halte ich es für so wahrscheinlich, dass das Interesse vieler Menschen am S-Link stark abflauen wird, wenn es darum geht, ihn auch zu nutzen? Ich meine, abgesehen davon, dass eine Verkehrsachse bedient wird, die womöglich an den zukünftigen Lebensrealitäten des Großteils der Bevölkerung vorbeizielt. Ganz einfach: Weil ich keine Studien kenne, die plausibel darlegen, dass die (dann) in Salzburg lebenden Menschen in 10-15 Jahren ihre persönliche Wahl der Verkehrsmittel ändern werden, solange diese Alternativen weiterhin zur Verfügung stehen. Es sieht eher so aus, als würde die Ist-Analyse des Problems, also der Verkehrsmisere, mit der initialen Bedarfsanalyse verwechselt. Diese sollte nämlich Aufschluss darüber geben, welche rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen 20401) greifen werden (z. B. CO₂-Preis), welche Mobilitätsbedarfe in Zukunft tatsächlich zu erfüllen sind (z. B. Arbeitswelt) und auf welches Verkehrsmittelangebot und welche Technologien dann zurückgegriffen werden kann (z. B. (teil-) autonomer Verkehr). Erst daraus lassen sich Szenarien ableiten, in denen der S-Link eine Rolle spielen kann oder eben nicht.

Es existieren dazu übrigens reichlich Studien – wissenschaftlich untadelige Werke –, die ich jedoch schmerzlich in der Argumentationskette des Pro-S-Link-Lagers vermisse. Vielleicht deshalb, weil am Ende ihrer Interpretationsarbeit nicht „Eisenbahn“ steht. Warum auch, wenn die Range an möglichen Verkehrslösungen 2040 weit mehr umfassen wird als nur diese „Eisenbahn“. Ich befürchte daher, dass die Entscheidung für den S-Link vor einigen Jahren freihändig getroffen wurde. Und das auf den letzten Metern, bevor neue Technologien den Mobilitätsmarkt revolutionieren bzw. sich verändernde Rahmenbedingungen für neue Mobilitätsbedarfe sorgen werden.2) Um hier nicht schon in der Etappe Schiffbruch zu erleiden, liebäugelt die Politik damit, die Bürger*innen der Stadt und deren Gäste dazu zu zwingen, den S-Link auch tatsächlich zu nutzen. Das ist durchaus üblich und okay! In den Studien zur Wirkung des S-Link nennt sich diese Strategie „Push-Faktoren“. Also „Zwänge zur Nutzung“ in Form von rechtlichen und organisatorischen Regeln und Maßnahmen, die die freie Verkehrsmittelwahl zugunsten des S-Link einschränken sollen.

Push them in any direction!

Die mögliche Palette von „Push“-Maßnahmen reicht dabei von der Sperre der Innenstadt für den Individualverkehr bis hin zur Ausdünnung des oberirdischen Busnetzes, um die Kapazitäten des S-Link zu füllen. Es geht auch um den Rückbau von Parkplätzen, die Einführung einer City-Maut für den verbleibenden Zielverkehr oder die Trennung des innerstädtischen Straßen- und Öffi-Verkehrs auf Trassen links und rechts der Salzach. Auch die künstliche Reduktion des Zubringerverkehrs über z. B. die Alpenstraße, die trotz der Neuplanung der dortigen S-Link-Trasse ein Thema bleiben wird.X) Dazu fehlen noch Konzepte, die den Ausweichverkehr über andere Achsen aus Salzburg-Süd unterbinden sollen, ebenso wie das Verhindern von neuen und neuartigen Verkehrstechnologien und -angeboten in Reichweite des S-Link und der geplanten Zubringer-Linien. Diese Beispiele stehen auch stellvertretend für alle Verkehrsoptionen, die in Konkurrenz zum S-Link stehen könnten – egal, ob sie günstiger, produktiver, zeitgemäßer und vor allem in der Bevölkerung akzeptierter umzusetzen wären als die Eisenbahn-Lösung. Damit steht das Synonym „Push“ nicht nur für das Ermöglichen/Erzwingen der S-Link-Option, sondern auch für das aktive Verhindern anderer, womöglich passenderer Verkehrsoptionen im Jahr 2040.

Diese Aufstellung werden Sie übrigens in keiner der angesprochenen Studien finden – dort dient der Begriff „Push“ eher dazu, die Fantasie der Leserinnen anzuregen, auch Ihre. Ich lade Sie daher ein, in einer DenksportaufgabeX) Ihre Ideen einzubringen, womit Sie die Salzburger*innen zur Nutzung des S-Link „pushen“ würden – inklusive einer ehrlichen Einschätzung, ob die „anderen“ auch täten, was Sie von ihnen wollen. 

Salzburg, 10/2024 – Gerd

1, 2, 3, ...) Quellen und Erläuterungen zum Text

1) Siehe u.a. Salzburg Morgen | Welche Entwicklungen werden Salzburg im Jahr 2040 prägen? | Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen | diverse Autor*innen | Salzburg, 2022

2) Österreichs Mobilität in 100 Jahren | Studie der Technischen Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften | diverse Autor*innen | Wien, 2023

X) Siehe verwandte/weiterführende Blog-Beiträge

Passend bzw. vertiefend zu diesem Beitrag finden Sie in diesem Blog folgende Texte:

008 Wahltaktische Eigentore » | Was tun politische Parteien in Not? Sie starten einen Wahlkampf. | https://unbehagen.at/wahltaktische-eigentore/

014 Wie tickt 2040? » | Es sind die neuen Rahmenbedingungen unsers Lebens, die 2040 unsere Mobilitätsbedarfe prägen, nicht umgekehrt! | https://unbehagen.at/wie-tickt-2040/

017 Was heißt produktiv? » | Was heißt es wirklich, Öffis- und Öffi-Infrastruktur produktiv zu bespielen? | https://unbehagen.at/was-heisst-produktiv/

026 Redundanzeffekte » | Wenn Konkurrenz den Finanzierungsbedarf steigert, statt die Preise zu senken. | https://unbehagen.at/redundanzeffekte/

028 Versuch und Irrtum » | Warum scheint von dem Projekt, das seit einer „Ewigkeit“ geplant wird, relativ wenig fix zu sein? | https://unbehagen.at/versuch-und-irrtum/

Zum gemeinsamen Erarbeiten von Alternativen zum S-Link und innovativer, visionärer Mobilitätskonzepte finden Sie in diesem Blog spezielle Denksportaufgaben.

    Tipp!

    Es geht um Ihre Meinung, nicht meine. Treten Sie daher bitte einen großen Schritt zurück und werfen Sie einen Blick auf das „große Ganze“. Auf ein plausibles, machbares Big Picture des Lebensraumes Salzburg im Jahr 2040. Stellen Sie sich dabei vor, wie wir als Gesellschaft am sichersten dort hinkommen. Ich gebe Ihnen in diesem Blog dazu ein paar Denkanstöße, nicht mehr und nicht weniger.

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